Die Guten kommen


von ROBERT MISIK

Krieg ist. Britische und US-amerikanische TV-Stationen parken ihre Übertragungswagen direkt an den Schützengräben und berichten live von den Artilleriegefechten. Die in die Invasionsarmee „eingebetteten“ Reporter haben Minikameras umgeschnallt, wie man sie beim Elektroladen um die Ecke bekommt. Die halten sie aus den Gucklöchern der gepanzerten Fahrzeuge der 3. Infanteriedivision der US-Army und schicken grob gepixelte Videos von der Front heim. „Wir geh’n da mal vor“, kommentieren sie. Mal sehen, was die nächste Ecke bringt.

Liegt Bagdad wieder einmal im Bombenhagel, können wir die Perspektive wählen: etwas grünstichig von links (CNN), oder hätten wir’s lieber ein bisschen rötlich von rechts (al-Dschasira)? Und nach jeder Welle sofort der Livekommentar durch das Telefon, dafür werden, erstaunlich genug, nicht einmal die Satellitentelefone benötigt; jedenfalls treffen die US-Kriegsplaner mit ihren Präzisionswaffen bisher präzise genug, so dass das öffentliche Telefonnetz und die Stromversorgung des Irak weitgehend intakt geblieben sind – trotz der mittlerweile berüchtigten „Shock and Awe“-Kampagne.

Dieser Krieg, von dem wir so viel und so wenig zugleich wissen, ist voller Asymmetrien und Paradoxien: Da geht 48 Stunden lang die große Eisenfaust nieder, mit tausenden von Bomben und Raketen in zwei Tagen – mehr als im vergangenen Golfkrieg insgesamt. Und doch geht das öffentliche Leben fast unberührt weiter.

Bomben mit Botschaft

Dieses Stahlgewitter soll allen Widerstandswillen lähmen. Freilich, darauf ist die Supermacht peinlichst bedacht, sollen nur die wirklich unbelehrbaren Stützen der Saddamiten alle Gewalt spüren. Schon die „normalen“ Soldaten gehören zu jenem „irakischen Volk“, das befreit, nicht unterworfen werden soll.

Und doch verglüht in diesem „Bombenterror für die Freiheit“ (Der Spiegel), bei (fast) jedem Schuss aus einem US-Panzer mit seiner uranummantelten Munition ein irakischer Panzerfahrer in seinem altmodischen T-55 sowjetischer Fabrikation. Und wenn die Druckwellen und Eruptionen, gegen die in den US-Labors noch kein Mittel erfunden worden ist, ganze Häuserzeilen entglasen, liegen am nächsten Morgen Kinder mit zerschnittenen Gesichtern im Spital.

Robert Fisk vom britischen Independent, der wahrscheinlich beste Kriegsreporter der Gegenwart, der wieder in Bagdad sitzt, fragt sich: „Wie beschreibt man das der Welt, ohne in die Sprache eines Militärkommuniqués zu verfallen? Wie schildert man diese Farben, die Dezibel der Explosionen? Wenn eine Cruise Missile anfliegt, klingt das, als würde jemand schwere Vorhänge über dem Horizont wegreißen. Die Druckwellen bilden einen Furcht einflößenden Kontrapunkt zu den Flammenmauern.“

Mit den Bomben wird eine Botschaft gesendet: Dies ist unwiderstehliche, unhinterfragbare Macht. Ihr darf sich niemand in den Weg stellen. Fisk: „Das ist der eigentliche Grund für diese Bombenangriffe.“ Vielleicht ist es Zufall, dass sein Kollege Gavin Hewitt, der 200 Kilometer weiter südlich in einem der Panzer der 3. US-Infanterie sitzt, angesichts der endlosen Kolonne aus 10.000 Fahrzeugen auf einen ähnlichen Gedanken kam: „Es hat in der Geschichte noch keine solche Panzerarmee gegeben. Ich denke, ein Teil der Intention ist, die Irakis, wenn sie diese Kolonne sehen, davon zu überzeugen, dass die Grandiosität amerikanischer Macht jeden Widerstand zwecklos macht.“

Der Waffengang ist von bizarrer Asymmetrie. Da mag Saddam Hussein bis vorvergangene Woche zur „Bedrohung des 21. Jahrhunderts“ stilisiert worden sein, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, wie der Krieg ausgeht – auch wenn der britisch-amerikanische Vormarsch seine „komplizierten Tage“ (CNN) erleben mag. Hoffentlich gibt es nicht zu viele davon. Denn man müsste schon ein höchst krauser Peacenik sein, würde man wünschen, die amerikanischen und britischen Truppen sollen doch, bitte schön, in einen langen, blutigen Krieg schlittern, nur damit wir dann feststellen können: „Haben wir’s nicht gesagt?“

Nein, wie die Dinge liegen, gilt – gewissermaßen aus irakischer Perspektive gesprochen – die schöne Maxime George Orwells, der darauf hinwies, was die schnellste Methode ist, einen Krieg zu beenden: Man muss ihn verlieren. Hoffentlich verlieren sie ihn ohne das angesagte, finale Blutbad: die Schlacht um Bagdad.

Dass wir immer schon wissen, dass die USA am Ende als militärische Sieger dastehen, macht paradoxerweise auch unwahrscheinlicher, dass sie den Krieg politisch gewinnen werden. Das gilt auch für den Fall, dass sie vergleichsweise problemlos nach Bagdad marschieren und ein Regime installieren, das die Menschenrechte respektiert, das Land der Welt öffnet, zivile Freiheiten achtet; die Ressentiments gegen die unfassbar überlegene Supermacht, die den Aufstand der Kleinen – etwa im Weltsicherheitsrat – erst befeuert haben, würden durch diesen Beweis der amerikanischen Allmacht eher noch zusätzlich gespeist.

Der Grund dafür: Zu deutlich ist das imperiale Moment, und die militärische Hypermacht der USA erscheint hier nur als ein Aspekt des zivilisatorischen Überlegenheitsgestus, der davon nicht zu trennen ist, und der, unabhängig von der Frage, wie berechtigt oder unberechtigt er ist, fortwährende Abwehr provoziert. So ist auch der Satz „Wir kommen als Befreier, nicht als Eroberer“, der von George W. Bush und Tony Blair in diversen Variationen verbreitet wird, Teil des irakischen kulturellen Gedächtnisses (sofern es so etwas in dem ethnisch-kulturell dreigeteilten Land überhaupt gibt). Mit diesen Worten auf den Lippen war 1917 der britische Generalleutnant Stanley Maude in Bagdad eingezogen und hatte damit das Ende der ottomanischen Herrschaft besiegelt. Die Briten blieben für Jahrzehnte.

Großmut reizt Gemüter

In diesem Sinne erleben wir heute, wie der Militärhistoriker Lawrence James schreibt, die „Wiedergeburt des wohlmeinenden Imperialismus“, dem es darum zu tun ist, ein Gemeinwesen zu seinem Besten zu erobern. Mit dem Rückgriff auf die diskursiven Bestände des „wohlmeinenden Imperialismus“ markiert der „demokratische Imperialismus“ der neokonservativen Ideologen im Umfeld des Pentagons eine bemerkenswerte Abkehr von den Prämissen der Kriege der 90er-Jahre, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so scheinen mag. Doch die Kriege der Clinton-Ära und auch der Afghanistanfeldzug waren Interventionen in failed states, Polizeiaktionen mit militärischen Mitteln, um das Chaos und die ethnischen Bürgerkriege zu befrieden (die Interventionen in Bosnien und im Kosovo werden in den rechten Pentagonzirkeln heute auch abfällig liberal wars genannt). Ihr Schlüsselwort waren „Menschenrechte“, nicht so sehr „Demokratie“. Ihr Ziel war die Etablierung irgendeiner Ordnung, nicht der Export einer bestimmten. Und ihre Dringlichkeit konnte jedermann klargemacht werden – sie waren wirklich das „letzte Mittel“.

Heute schwingt dagegen ein Grundton der paternalistischen Großmütigkeit mit, der die Gemüter reizt. Darum aber schlägt selbst seine Güte gegen den Imperialisten aus, so wie die Paradoxie des waffenstrotzenden Humanismus. Auch in diesem Krieg verdichtet sich der „demokratische Imperialismus“ gewissermaßen in doppelter paradigmatischer Gestalt: in der des wohlmeinenden Invasors und in der der humanen Waffe. Die das Bild prägende soldatische Figur ist nicht mehr die des polizeilich-militärischen Schlichters, wie im Kosovo, der sich zwischen die Parteien stellt, sondern der anständige Überbringer der Freiheit. So wichtig wie dessen Feuerkraft ist dessen gutes Benehmen. „Wo der Soldat als ,Befreier‘ auftreten soll, muss er das Soldatische hinter sich lassen“, heißt es in der Süddeutschen Zeitung. Nur folgerichtig, dass die amerikanischen und britischen Soldaten in den Wochen, die sie in der kuwaitischen Wüste ihres Einsatzes harrten, den neuen „Soldier’s Guide to the Republic of Iraq“ pauken mussten. „Starren Sie keine arabischen Frauen an und verabreden Sie sich nie mit ihnen“, heißt es darin etwa, und: „Weisen Sie die Gastfreundschaft nicht zurück.“ Aber auch: „Es gehört sich nicht, mehr als drei Tassen Tee zu trinken.“

So wie die Freundlichkeit die short-distance weapon ist, so ist die long-distance weapon eine freundliche Waffe. Die Cruise Missile, die heute dank des neuen globalen Positionssystems GPS bei fehlerfreier Anwendung auf wenige Meter genau ihr Ziel trifft, ist einerseits Produkt der neuen Kriege und hat andererseits das Verhältnis zum Krieg auf eine Weise revolutioniert, das außerhalb der Military Community kaum noch begriffen worden ist. Sie hat die Kriege führbarer gemacht und damit die Schwelle gesenkt, sie zu beginnen. Sie ist die Antwort auf die ewige Frage des wohlmeinenden Imperialisten, die ja lautet: Ist das Geschenk der Freiheit und des Friedens die Opfer des Krieges wert? Die Cruise Missile ist gewissermaßen die Antwort der einen Supermacht, der USA, auf die andere Supermacht, die öffentliche Meinung, die Krieg nur akzeptiert, wenn die Unschuldigen ihre Befreiung erleben.

Ressentiments und Zorn

Was die freundlichen Invasoren nur schwer begreifen, ist nun aber: Es ist gerade diese Freundlichkeit, die ihnen ebenso Feinde schafft wie es brutale Schroffheit täte. Sie beruht auf der totalen technologischen Überlegenheit, die aus weitgehend sicherer Distanz exekutiert wird. Sie wird als feige und gemein angesehen und produziert das Ressentiment und den Zorn, den sie eigentlich vermeiden sollte.

Mit jedem präzisen Treffer sinkt das Ansehen der Amerikaner. Selbst der kluge Robert Fisk höhnt, die präzise Kriegsführung sei doch kein Geschenk an das irakische Volk, sondern schon zum Besten der neuen Herren. Schließlich werden diese funktionierende Telefonanlagen, intakte Straßen und elektrischen Strom brauchen – wenn sie in Bagdad sind. Also bald.