„Die Tage sind unheimlich lang“

Manche Einwohner Bagdads haben das Gefühl: „Der Krieg läuft schon ein Jahr“. Die Angst hat nachgelassen, der Patriotismus zugenommen

Auch am sechsten Tag des Krieges hat unser Korrespondent Karim El-Gawhary mit seinem Freund und dessen Familie in Bagdad telefoniert. Die Mittelschichtfamilie lebt in einem kleinen Einfamilienhaus, unweit des Stadtzentrums von Bagdad. Der fünfzigjährige Vater publiziert Artikel über kulturelle Themen. Seine Frau arbeitet als Sekretärin. Die beiden acht- und zehnjährigen Töchter Inas und Nadia gehen normalerweise zur Schule.

„Gestern sind ein halbes Dutzend großer Bomben in der Stadt eingeschlagen. Unsere Türen haben gewackelt. Das große Fenster in unserem Wohnzimmer hat jetzt einen Sprung. Aber die Leute haben nicht mehr so viel Angst wie in den ersten Tagen. Jeden Tag machen mehr Läden auf. Das Leben nimmt wieder normale Formen an. Sogar die Müllabfuhr kommt jetzt wieder regelmäßig. Auf eine gewisse Art sind die Tage sogar langweilig. Wir haben das Gefühl, der Krieg läuft nicht nur erst ein paar Tage, sondern ein Jahr. Die Tage sind unheimlich lang.

Ich habe gestern viel im Garten gearbeitet und mit den Nachbarn geschwatzt. Wir haben eine neue Einrichtung: Jeden Tag Punkt 16 Uhr ist Tea Time. Die ganze Familie geht zu den Nachbarn zum Nachmittagstee. Um unsere Nerven zu behalten, ist es wichtig, sich auszutauschen. Man ist sehr patriotisch geworden in der Stadt. Man hofft, dass die USA für ihre Invasion einen hohen Preis bezahlen. Alle haben sich gefreut, als im irakischen Fernsehen der notgelandete US-Apache-Kampfhubschrauber gezeigt wurde. Niemand redet über die Verteidigung des Regimes, alle reden über die Verteidigung unseres Landes.

Die Frau kommt ans Telefon: Ich bin inzwischen viel ruhiger, vor allem weil die Kinder nicht mehr solche Angst haben. Ich habe begonnen den beiden Töchtern im Haus Unterricht zu geben. Jeden Tag lesen wir Arabisch oder lösen Mathematikaufgaben. Das ist wichtig, damit sie das Gelernte nicht vergessen. Und sonst sehen wir viel Viedo. Mein Mann hat in weiser Voraussicht vor dem Krieg über 40 Filme kopiert.

Dann spricht wieder der Vater: Viele Leute gehen auch wieder zur Arbeit. Beispielsweise unser Nachbar, der Universitätsprofessor. Jeden Tag fährt er um 9 Uhr früh in die Universität, auch wenn dort keine Studenten sind. Die Arbeit ist ein wichtiger Ort, um mit Kollegen die neueste Lage zu besprechen. In der Stadt selbst verläuft alles relativ normal. Jeder kennt allerdings Geschichten, etwa von den beiden Raketen, die in unmittelbarer Nähe der Nidaa-Moschee eingeschlagen sind, die bereits vor dem Krieg von den UN-Waffeninspektoren kontrolliert worden war. Beim ersten Angriff am Freitag wurden dabei vier alte Wohnhäuser zerstört oder beschädigt. Es gab drei Verletzte. Gestern schlug wieder eine Rakete in der Nähe ein. Ein Frau wurde mit ihren vier Kindern unter den Trümmern ihres Wohnhauses begraben. Im Haus daneben schaffte es der Hausherr, seine Kinder und seine Frau aus dem Haus zu holen. Als er zurückging, um seine Mutter zu holen, stürzte das Gebäude zusammen.“