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: Leon Levits „Ein Mercedes im Sand“

Menschen in Berlin, die auf Identitätssuche sind: Dies ist ein literarisches Thema, das nicht erst seit der Öffnung der Mauer aktuell ist, sondern schon das ganze letzte Jahrhundert hindurch. So auch im Falle des Romans „Ein Mercedes im Sand“. Albert Berg, sein Protagonist, tritt einem Club bei, in dem sich Figuren wie Erich Kästners Fabian oder seit neuestem auch Sven Regeners Herr Lehmann tummeln: einem Club der verwirrten jungen Männer, die in einer Zeit leben, die sich einfach nicht in den Griff kriegen lassen will.

Albert Berg lebt in den Dreißigerjahren in Berlin und ist auf der Suche nach sich selbst und dem großen Abenteuer. Letzteres soll weiblich sein, bereitet aber mehr Schwierigkeiten als die Frage: Wer bin ich? Verkompliziert wird die Sache darüber hinaus, indem Albert jüdisch ist. Davon müsste er in der Stadt nicht viel merken, hätte sein Vater keine osteuropäisch-jiddischen Wurzeln, denen er sich verpflichtet fühlt. Er besteht darauf, dass Albert nicht nur Englisch und Französisch, sondern auch Hebräisch lernt und die jüdische Kultur begreift.

Beeinflusst vom Vater sucht Albert in Berlin die Auseinandersetzung mit dem Fremden in sich und den anderen. Er findet es zum einen in seiner ersten Liebe, einer jüdischen Prostituierten, deren Broterwerb er konsequent leugnet. Und er findet es zum anderen im aufziehenden Nationalsozialismus, der den Antisemitismus salonfähig macht. Hier schaut Albert genauer hin als bei seinen sexuellen Abenteuern.

Hinter der Figur des Albert Berg soll sich der Autor Leon Levit selbst verbergen. Anders als die vielen Biografien jüdischer Berliner umgeht Levit jedoch die Beschreibung von Krieg und Holocaust. Albert, der das Textilunternehmen seines Vaters übernehmen soll, bereist Europa. Anhand der Auseinandersetzungen im Ausland erkennt er, dass Vorurteile auch dort Triebfedern misslungener Kommunikation sind. Er versucht Erklärungen dafür zu finden, warum dies sich in Deutschland – im Gegensatz zu England beispielsweise – zu Gewalt gegen die Anderen und besonders die Juden auswächst.

Berlin ist nur eine Station in Albert-alias-Levits Leben. Als es in der Stadt zu schwierig wird, reist er nach Palästina aus. Dort könnte er Jude sein, stolpert jedoch immer wieder über Ansichten, die ihn als Deutschen entlarven. Zudem verkehrt sich die Ausgrenzungsproblematik. Jetzt verlaufen die Konfliktlinien zwischen Palästinensern und Juden. Der Alltag der Einwanderer ist jener eines Staates, der sich erst finden und seine Unabhängigkeit erkämpfen muss.

Leon Levit wurde 1906 in Berlin geboren. Er studierte Wirtschaft und Musik und übernahm, wie sein Protagonist, später das Textilgeschäft seines Vaters. 1932 emigrierte er, wie Albert, nach Israel. Dort versuchte er sich in verschiedenen Berufen bis hin zum diplomatischen Dienst. 1974 starb er. Seine fiktive Biografie verfasste er in den Sechzigerjahren auf Deutsch. Erst drei Jahrzehnte später ließ seine Tochter das Manuskript ins Hebräische übersetzen, um überhaupt zu verstehen, was der Vater ihr hinterlassen hat.

WALTRAUD SCHWAB

Leon Levit: „Ein Mercedes im Sand“. Roman. Edition Büchergilde 2003, 456 Seiten, 22,50 Euro