die treppe ins bessere leben von EUGEN EGNER
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Wenn Welterstein behauptet hätte, er sei mit seinem bisherigen Leben unzufrieden, wäre das ein unverschämter Euphemismus gewesen. Seine Frau hielt ihn für einen Idioten, da er Blödsinn redete, sobald er den Mund auftat, und ausnahmslos alles ruinierte, womit er in Berührung kam. Sagte oder tat er in ihrer Gegenwart etwas, riss er sogleich reflexartig die behaarten Unterarme hoch, um seinen Kopf zu schützen.

Welterstein war seit Stunden arbeitslos. Nach seinen Worten hatte die Firma, bei der er beschäftigt war, wegen konjunkturbedingter Schwierigkeiten Insolvenz beantragt, seine Frau hingegen behauptete, man habe ihn wegen Unfähigkeit hinausgeworfen. Darüber mochte er sich nicht mit ihr streiten, denn sie verdiente den gemeinsamen Lebensunterhalt als Catcherin.

Berufsbedingt war sie viel unterwegs. Wenn sie sich einmal zu Hause aufhielt, verprügelte sie Welterstein, weil er als Idiot in allen Haushaltsdingen sehr nachlässig war. Davon abgesehen, hatten sie keinen körperlichen Kontakt.

Weltersteins Selbsterhaltungstrieb hielt ihn davon ab, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen; neigungsgemäß betrachtete er den Geschlechtsverkehr nicht als Kampfsportart. Die Abende in Gesellschaft seiner ausschließlich mit Muskeltraining, Essen und Biertrinken beschäftigten Frau wurden ihm lang, am schlimmsten waren die Wochenenden.

Oft pflegte er am Fenster zu stehen und stundenlang sehnsüchtig hinauszuschauen. Er beneidete die Friseusen von gegenüber, wenn sie abends und vor allem am frühen Samstagnachmittag das Haarstudio verließen, um heimzufahren, wo sie gewiss ein Leben hatten.

Mit den Jahren beneidete er die Friseusen immer mehr, fast wünschte er sich, selbst eine von ihnen zu sein. Hätte seine Frau etwas von seinen Empfindungen geahnt, wäre ihm das schlecht bekommen.

Welterstein schlief gewöhnlich im Gästezimmer, weil er Angst hatte, von seiner Frau versehentlich im Schlaf überrollt oder erschlagen zu werden. Eines Nachts, und es war eine von Freitag zu Samstag, erwachte er und bemerkte ein Licht, das unter seinem Bett hervorschien. „Licht unter meinem Bett?“, dachte er im Traum. „Das ist jetzt wohl das Allerneueste!“

Als er sich hinunterbeugte und nachsah, entdeckte er dort eine Öffnung im Fußboden, groß genug für einen ausgewachsenen Menschen. Eine hölzerne Treppe führte abwärts. Von unten war Musik zu hören. Schließlich erreichte Welterstein einen altertümlichen, salonartigen Raum, in dem sich drei Frauen mit ihren Instrumenten zur Hausmusik versammelt hatten. Es waren die Friseusen aus dem Haarstudio auf der anderen Straßenseite!!! Sie bemerkten ihn nicht, die Hausmusik lastete sie restlos aus.

Das beruhigte Welterstein, denn er hatte Angst, sie könnten sich auf ihn stürzen, alberne Haarschnitte an ihm ausprobieren, ihn betrunken machen und in unterirdische Geheimgänge verschleppen, sodass man seine Überreste erst nach Wochen oder Jahren zufällig im Tunnel einer still gelegten Bahnstrecke fände. Bevor es dazu kommen konnte, stahl er sich lautlos davon und stieg wieder hinauf.