Der Professor neuen Typs

Jünger, freier, offener – der Juniorprofessor sollte die vergreiste Uni aufmischen. Doch viele Länder und Ordinarien mögen ihn nicht. Zwei Jahre nach seiner Geburt ist fraglich: Kommt Prof. Smart ans Ziel? Wird er Vorbild für Deutschlands Bummel-Studis?

Karin Donhauser: „Wir haben Verantwortung für die Juniorprofs, die wir ins Rennen schicken.“

VON CHRISTIAN FÜLLER

Der Juniorprofessor geht um in Deutschland. Er hat sich auf den langen Weg zum Lehrstuhl gemacht. Er will besser ans Ziel kommen als die bisherigen Professorenbewerber: schneller, jünger, vielseitiger. Doch nun wird er schon kurz nach dem Start vermessen. Streckenposten stoppen die Zeit. Sie messen die Schrittlänge, sie fühlen den Puls – und fällen ihr Urteil: Er wird nicht ins Ziel kommen, heißt es. Die vermeintliche Jahrhundertreform der Bundesregierung, die dem Marathonmann 2002 das Leben schenkte, sie gilt manchen bereits jetzt als gescheitert.

Die akademische Elite des Landes fragt sich besorgt: Ist das Elend der „Wissenschaft als Beruf“ in Deutschland denn nie zu überwinden? Müssen Beinahprofessoren, ehe sie einen Lehrstuhl erklimmen, auf ewig durch das Leid abhängiger Beschäftigung und die Einsamkeit einer 500-Seiten-Arbeit namens Habilitation gehen?

Die Kritik an der Juniorprofessur kommt von vielen Seiten. Die FDP etwa hat eine kleine Privatumfrage unter deutschen Hochschulen gestartet – und ist zu einer gemischten Bilanz gekommen. Dass der erzkonservative Hochschulverband, die Standesorganisation der ordentlichen Professoren, kein gutes Haar an seinen grünschnäbeligen Konkurrenten lässt, versteht sich von selbst. Und auch bei den Habilitierten und Habilitanden nimmt die Ablehnung nicht wunder – werden die Jungprofs doch auf Stellen platziert, die vor kurzem noch für die Lehrstuhlanwärter alter Schule reserviert waren.

Richtig aufgeschreckt war die Scientific Community freilich, als die so genannte Junge Akademie die Juniorprofessuren einer Untersuchung unterzog. Es gebe „schwerwiegende Probleme bei der Einführung der Juniorprofessur“. Dieser Ton erinnerte an die schrillen Warnungen von Professorenlobbyisten wie Hartmut Schiedermair, aber nicht an eine Junge Akademie, die Nachwuchsforscher aus der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina vereint.

„Wir sind definitiv für die Juniorprofessur, wir wollen, dass sie ein Erfolg wird“, betonte Katharina Landfester, eine der Autorinnen der Studie, gegenüber der taz. Daher beobachte die Junge Akademie die Entwicklung der Juniorprofessur ganz genau. „Und wir werden dem Marathonläufer immer wieder den Puls messen“, verspricht Landfester, inzwischen selbst Professorin.

Bislang gibt es in Deutschland 400 bis 500 Juniorprofessoren, das Bundesbildungsministerium zählt 800 Berufungszusagen. Die neue Professoren brauchen viel Luft, wenn sie für Professoren ernst zu nehmende Wettbewerber werden wollen. Schon einmal ist eine Professorenreform gescheitert. In den 70er-Jahren sollten Nachwuchswissenschaftler mehr Selbstständigkeit gewinnen – und bekamen in Wahrheit einen Berg von Arbeit: Der „Assistenzprofessor“ scheiterte an notorischer Überlastung. Er sollte lehren wie ein Vollprofessor, Prüfungen abnehmen, Examen korrigieren, in Gremien mitarbeiten – und selbstverständlich auch noch forschen. Nur wann?

Vor zwei Jahren hat Rot-Grün mit dem Juniorprofessor erneut Anlauf genommen. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) betrachtet seine Einführung als ihr Glanzstück. Sie wird nicht müde, dem Prof neuen Typs eine Vielzahl wundersamer Eigenschaften anzuheften – der Juniorprofessor als Iron Man. Er soll neues Fast-forward-Rollenmodell für eine vom Schlendrian geprägte Studentenschaft sein. Der Juniorprofessor muss zugleich Antreiber der armen Habilitanden sein. Er will den Professoren auf Augenhöhe begegnen. Und er soll eine schlagkräftige Reservearmee für die personelle Renovierung des Brainpools Universität formieren. Ein bisschen viel für Thirtysomethings, die neuerdings ohne Habilitation den Titel „Professor“ tragen dürfen.

Die Junge Akademie spießte in ihrem Gutachten das Kaleidoskop der Bulmahn’schen Tollheiten genüsslich auf. Die Zahl von 6.000 Juniorprofessoren zu erreichen sei „eindeutig gescheitert“, schreiben die Jungakademiker. Das Ziel, „die Habilitation überflüssig zu machen, [ist] bei weitem nicht erreicht.“ Dass bislang Evaluationskriterien für Junuioprofs nicht offen gelegt wurden, müsse „als schweres Versäumnis gewertet werden“.

So wuchtig die Wertung, so dürftig die empirische Grundlage der „Studie“ der Jungen Akademie. Ganze 179 Jungprofs beantworteten die Fragebögen. Obendrein wurden die Probanden zu einem Zeitpunkt ausgewählt, als es die Juniorprofessur de jure noch gar nicht gab. Karl Max Einhäupl, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, warnt denn auch: „Es sind noch nicht so viele Juniorprofessoren berufen, dass man eine endgültige Bilanz ziehen könnte.“ Und Marianne Kriszio, Vorsitzende der Konferenz der Frauenbeauftragten, sagt höflich: „Die kleinen Fallzahlen führen leicht zu Verzerrungen von Ergebnissen.“

Die angebliche Lage der neuen Professoren ist ein Produkt von Gerüchten. „Na, nutzen Sie dich auch aus?“, müssen sich viele verdutzte Juniorprofs fragen lassen. Die reale Arbeitsgrundlage wirkt wie ein gelebter Widerspruch: hier die negativen Voreinschätzungen; dort die eigenen, oft überschwänglich positiven Haltungen der Jungprofs. Wie sollten sie sich auch anders äußern? Wer wollte sich schon die Option auf einen tenure track, die Umwandlung der Junior- in eine ordentliche Professur, durch Mäkelei verbauen?

„Ich halte die Juniorprofessur für sehr sinnvoll“, schwärmt etwa Vera Husfeldt, 33, Juniorprofessorin aus Göttingen. Ihren jetzigen, eigenständigen Job sieht sie als „eine viel bessere Vorbereitung auf den Beruf des Professors als die Habilitation“. Gibt es etwas Negatives?, wurde Frau Husfeldt jüngst bei einer Konferenz von Ver.di, dem Doktorandennetzwerk Thesis und der Böckler-Stiftung gefragt. „Ja“, antwortete die empirische Schulforscherin tapfer, „man hat schon einen langen Arbeitstag.“

Auch der Russe Dimitri Kuzmin, der erste und jüngste (29 Jahre) seines Standes in Nordrhein-Westfalen, findet seine Eigenständigkeit gewahrt, seine Mitsprache in der Fakultät okay – nur Vorlesungen zu halten, das sei doch ganz schön viel Arbeit, sagt er der taz.

Was das noch so alles heißt, beschreibt Anke Lüdeling von der Humboldt-Universität. „Ich arbeite jetzt einfach immer“, erzählt die 35-jährige Corpuslinguistin. Zwei Hauptseminare gibt sie, ein Forschungsseminar hält sie ab, wird Doktormutter, forscht und schreibt an zwei Projektanträgen, arbeitet in Gremien mit – und wirkt doch nicht eben unglücklich. Im Gegenteil.

„Der Berufswunsch Professorin ist eben Arbeit“, sagt sie. „Das war schon immer so. Nur hieß Assistentsein früher, die Arbeit zu tun, ohne die Vision und die Freiheit der Professur zu haben. Heute weiß ich, wofür ich das alles tue. Ich kann als Juniorprofessorin mit einem eigenen Gebiet sagen: ‚Ich möchte da und da mit meinem Fach hin.‘ Früher hing das vom Professor ab.“

Juniorprofessorin Lüdeling: „Heute tue ich meine Arbeit mit der Vision und der Freiheit einer Professur“

Über Wohl und Wehe der Juniorprofs bestimmen heute viele Akteure. Sie arbeiten, so scheint es, mehr gegen- als miteinander. Eine Reihe von Bundesländern etwa klagt gegen die Novelle des Hochschulrahmengesetzes, mit der die Juniorprofessur eingeführt wurde. 9 von 16 Bundesländern haben die Juniorprofessur noch immer nicht in ihr Hochschulgesetz geschrieben. „Der Konflikt mit dem Bund wird so auf dem Rücken des Nachwuchses ausgetragen“, kritisiert das die Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses des Bundestags, Ulrike Flach (FDP). Sie hat 100 Universitäten nach ihren Erfahrungen mit der Juniorprofessur befragen lassen.

Was die Länder veranstalten, ist ein politisch gewolltes Hintertreiben der Juniorprofessur. Aber selbst die Aktion Marke „Wir wollen nicht, wir warten noch“ kann die Jungprofessur offenbar gar nicht verhindern. Denn selbst da, wo es die Juniorprofessur im Prinzip gar nicht geben kann, findet sich eine Gewissheit: Sie wird gewollt – von Nachwuchsforschern ebenso wie von Hochschulen. Auch in Bayern etwa weisen erste Unis Juniorprofessuren aus, mag sich die Landesregierung noch so sehr in der Rolle des Prozesshansels gegen den Bund gefallen.

Da, wo es die Juniorprofessur gibt, tritt die umgekehrte Situation auf: wenige Gewissheiten – viele Unklarheiten. Die Arbeitssituationen sind sehr unterschiedlich. Manchmal lassen sich die Fakultäten gerne auf junge Kollegen von außen ein, anderswo streichen sie ihnen, weil der Spardruck hoch ist, die Reisekosten zusammen, schneiden Sekretariate und Mitarbeiter ab. So entstehen Professoren zweiter Klasse, näher dem Status des Oberassistenten als dem des Juniorprofessors.

Irritationen gibt es auch beim Zugang zur Nachwuchsprofessur von unten, sprich: der Hausberufung. 44 Prozent stammen derzeit aus den eigenen Reihen. In der Medizin (60 Prozent) und der Ingenieurwissenschaft (68 Prozent) sind es noch mehr. „Das ist eindeutig zu viel“, mahnt Wissenschaftsratschef Einhäupl. Dafür vermisst er Perspektiven für die Juniorprofessoren nach oben, sprich: den tenure track.

Es bestehen noch große Interpretationsspielräume, von Land zu Land, von Hochschule zu Hochschule. Die Juniorprofessur, die sich als anerkannte Personalkategorie erst in der akademischen Wirklichkeit bilden wird, leidet unter diesen Missverständnissen. „Wir sollten einen langen Atem haben. Es müssen erst mal ein, zwei Gruppen von Juniorprofessoren durchlaufen“, sagt Karin Donhauser. Die Linguistikprofessorin sitzt in der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats – und lässt keinen Zweifel daran, dass der Juniorprofessor eine gute Idee ist: „Wir haben Verantwortung gegenüber den jungen Leuten, die wir ins Rennen geschickt haben. Und wir können es uns nicht leisten, erneut eine Generation von exzellenten Nachwuchsforschern nicht an den Start gehen zu lassen.“

Wenn der Juniorprofessor dereinst ein Schwächling sein wird, dann auch deshalb, weil ihn der Bildungsföderalismus bastardisiert hat. Er darf nicht so sein oder so, er muss immer irgendwie alles können – weil er es Frau Bulmahn recht machen muss und dem abgetretenen Wissenschaftsguru Hans Zehetmair (CSU) aus Bayern, den altehrwürdigen Ordinarien und den beleidigten Habilitierten. Irgendwie ist der Juniorprofessor ein sehr deutscher, weil hin- und hergerissener Typ geworden. Aber wer weiß, vielleicht steht er seinen Marathon ja durch. Klammheimliche Freunde hat er genug.