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Die Globalisierung der Viren

Der Übersprung von Krankheitserregern vom Tier zum Mensch – wie jetzt bei der Vogelgrippe befürchtet – ist eine Erfolgsgeschichte. Zumindest für die Krankheitserreger. Mit menschlichen Wirten können sie sich viel besser ausbreiten. Welthistorische Bedeutung hat das seit der Kolonialgeschichte

Vögel haben ganz allgemein einriesiges Reservoir an Influenza-VirenDie Evolution – und damit der Kampf zwischen Mikrobe und Wirt – ist nicht zu Ende

VON CORD RIECHELMANN

Glaubt man der für die Nachrichten auf den Monitoren in der Berliner U-Bahn zuständigen Zeitung, dann wird es jetzt ernst beziehungsweise „dramatisch“ mit der Vogelgrippe. In Vietnam sind zwei Schwestern an den Folgen der Grippe gestorben, und es besteht der Verdacht, dass sie sich bei ihrem wenige Tage zuvor verstorbenen Bruder angesteckt haben. Mit der ersten bekannt gewordenen Ansteckung von Mensch zu Mensch, also ohne Tierkontakt, ist ein Indiz gegeben, dass H5N1, wie das Influenza-Virus wissenschaftlich heißt, den Artenwechsel geschafft hat und zu seiner Verbreitung der Hühner nicht mehr bedarf. Und das ist tatsächlich, wenn es stimmt, eine andere Qualität.

Hatte doch noch am vergangenen Sonntag in der FAS der Direktor des Berliner Robert-Koch-Instituts, der für Seuchenangelegenheiten zuständigen Bundesbehörde, Reinhard Kurth, gesagt, dass es im Moment zum Glück trotz intensiver Beobachtung keine Hinweise auf eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung gebe. „Aber mit einer Ausbreitung der Geflügelpest und der Massenschlachtung des Geflügels ohne die nötigen Sicherheitsmaßnahmen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Erreger der Geflügelpest mutiert“, hat Kurth noch hinzugefügt. Das scheint jetzt bereits geschehen zu sein, und für die Betroffenen sind das düstere Aussichten. Denn auch wenn in verschiedenen Labors buchstäblich mit Hochdruck an der Zucht eines Impfstoffes gearbeitet wird, kommt er für die beiden Schwestern zu spät. Obwohl sich der am Montag erst gemeldete und dann wieder eingeschränkte Fall der ersten deutschen Vogelgrippeverdachtspatientin in Hamburg zum Glück als Medienselbstläufer entpuppte, sind die Folgen schon verheerend genug.

An die 45 Millionen Hühner seien bisher in den von der Pest heimgesuchten asiatischen Ländern geschlachtet worden, teilte ein Sprecher der UN-Ernährungsorganisation mit. In diesen Zahlen ist China noch nicht mal enthalten. Wenn die Weltgesundheitsorganisation jetzt darauf drängt, den ihrer Einkünfte „beraubten“ Bauern finanziell zu helfen, werden sozusagen Ausmaß und Ursache des Desasters benannt. Haushühner sind ein Wirtschaftsfaktor, und desto mehr man von ihnen hat, desto mehr kann man verkaufen. Große Mengen, auf engstem Raum gehalten, versprechen immer noch den größten Gewinn. Und es sind schon lange nicht mehr nur die historisch zuerst in Asien domestizierten Haushühner, die in großer Zahl in der Nähe von Menschen gehalten werden. Man züchtet in Massenfarmen Enten, Gänse und Truthähne und hält Geflügel, das sich aus biologischen Gründen nicht zusammenpferchen lässt, wie Fasane, Wachteln oder Perlhühner in so genannten halbfreien großzügigeren Anlagen, als es die Massenmastzentren darstellen.

Das ist nicht ohne Risiko, denn dass sich ansteckende Krankheiten unter vielen Tieren auf engem Raum schneller verbreiten als unter wenigen in der Weite kaum belebter Wüsten dürfte ein Gemeinplatz sein. Nur sind die Haltungsbedingungen nicht allein für die Entwicklung von Krankheitserregern, die dem Menschen gefährlich werden können, verantwortlich. Vögel haben ganz allgemein ein riesiges Reservoir an Influenza-Viren ausgebildet. Man hat Viren bei Seeschwalben, Wildenten und Singvögeln gefunden, und man kann davon ausgehen, dass in den noch nicht systematisch untersuchten Vogelformen weitere Varianten der Influenza schlummern. Die meisten von ihnen sind aber für Menschen ungefährlich, beziehungsweise ist es relativ unwahrscheinlich, dass man zum Beispiel Seeschwalben so nah kommt, dass sie einen mit ihren Viren belästigen. Die meisten Virenvarianten sind für Menschen sowieso ungefährlich und schaffen es nicht über die Artgrenzen hinweg.

Das ist natürlich kein Trost für jene, die einem mutierten Virus, der es bis zum Menschen geschafft hat, erliegen – und das waren und sind in der Geschichte nicht wenige. Die Erreger von Tuberkulose, Malaria, Pest, Cholera, Pocken und Masern sind allesamt tierischen Ursprungs und spielen in ihren tierischen Ahnen als Krankheitserreger keine Rolle mehr. Vom Standpunkt der Mikroben aus gesehen, hat sich der Wirtswechsel bezahlt gemacht. Nimmt man nur die Geißel Aids und seinen Erreger, das HI-Virus, dann erreicht das Virus heute ganz andere Gegenden und Wirte, in denen es gedeihen kann, als wenn es in der kleinen Affenkolonie geblieben wäre, in der man den Ursprung des Virus vermutet.

Außerdem sind weder der Übersprung einer Mikrobe zum Menschen noch seine weltweite Ausbreitung Phänomene der modernen Verhältnisse, die man Globalisierung nennt. Der Biologe Jared Diamond versucht in seiner großen Studie „Arm und Reich“ die heutigen unterschiedlichen Entwicklungstufen der verschiedenen menschlichen Gesellschaften aus der Möglichkeit der Nutzbarmachung der natürlichen Reichtumsquellen abzuleiten. Er entfaltet um die Entstehungs- und Ausbreitungsgeschichte von Mikroben ein Szenario, das zum Beispiel die Eroberung Amerikas auch als biologische Kriegsführung erscheinen lässt.

Manchmal waren die Mikroben der Konquistadoren dabei schneller als ihre Truppen. Als Hernando de Soto, der als Entdecker des Mississippi in den Geschichtsbüchern geführt wird, dort 1540 anlandete, traf er auf menschenleere Städte, die von einer der bevölkerungsreichsten Zivilisationen Amerikas nur noch den Wind übrig gelassen hatten. Die ursprünglichen Bewohner waren reihenweise Krankheiten zum Opfer gefallen, die Indianer verbreitet hatten, die an der Küste Kontakt zu Spaniern hatten.

„Nach Schätzungen schrumpfte die indianische Bevölkerung der Neuen Welt innerhalb von ein bis zwei Jahrhunderten nach der Ankunft von Kolumbus um etwa 95 Prozent“, schreibt Diamond. Die weitaus meisten von ihnen fielen dabei Krankheiten zum Opfer, die sie nicht kannten und gegen die sie deshalb keine Immunisierungen entwickelt hatten. Typhus, Grippe, Pocken, Diphterie, Pest, Tbc und Gelbfieber vernichteten mehr Indianer, als die Eroberer mit ihren Waffen erschlagen konnten.

Nach Diamonds These ist die Waffe der Vernichtung durch Mikroben eine direkte Folge der Form der Landwirtschaft auf dem eurasischen Kontinent. Alle erwähnten Mikroben sind von Haustieren wie Rindern, Schweinen, Hühnern oder Enten auf den Menschen übergesprungen, die es damals in Südamerika noch nicht gab. Dass die amerikanischen Ureinwohner nicht ihrerseits die Europäer mit Krankheiten traktieren konnten, ist auf den eklatanten Mangel an domestizierbaren Tieren, die man in der Nähe der Menschen in großen Mengen halten konnte, zurückzuführen. Truthähne, Meerschweinchen, Lamas und Alpakas, die wesentlichen Haustiere Amerikas, wurden weder in vergleichbar großen Mengen gehalten, noch ließ man sie in Ställen so nah an sich heran, wie das in Europa üblich war. Außerdem wurde die Milch der amerikanischen Lamas nicht getrunken, womit eine mögliche Infektionsquelle gar nicht erst erschlossen wurde.

Die Europäer vernichteten mit ihren Mikroben aber nicht nur die Indianer Amerikas, sondern taten das Gleiche mit den australischen Aborigenes und den Völkern im Süden Afrikas. Dass es besonders in den Tropen Afrikas und Asiens auch Krankheiten gab, die den Weißen Europas nicht gut taten, bestreitet Diamond dabei nicht; für ihn ist die wesentlich später erfolgte Aufteilung Afrikas unter den Europäern eine Folge der unangenehmen Tropenkrankheiten. Letztlich hat sie aber auch dort nicht verhindern können, dass die technischen und politischen Organisationen Europas in Afrika gesiegt haben.

Diamonds Spekulation geht aber so weit, dass er die Überlegenheit der Europäer in Bewaffnung, Technik und politischer Organisation für nicht unbedingt entscheidend hält. Die im Zuge der Entwicklung der Haustierzucht sozusagen mitevolvierten Mikroben habe den Urbevölkerungen der eroberten Kontinente den entscheidenden Schlag versetzt. Damit sind zwar die Urbevölkerungen Amerikas und Australiens bis auf wenige Ausnahmen verschwunden. Der Kampf zwischen Mikroben und Wirten aber ist nicht beendet. Und die Formen des Wirtschaftens im Umgang mit Haustieren haben sich im so genannten postindustriellen Zeitalter noch lange nicht in den Bereich verlagert, in dem es nur um Informationen und virtuelle Realitäten geht. Im Gegenteil.

Die Tierproduktion ist trotz gegenteiliger Bestrebungen der nachhaltigen oder ökologischen Landwirtschaft nach wie vor auf Verdichtung und Produktivitätssteigerung ausgerichtet. Für Viren ein dankbarer Nährboden, der sie aber trotzdem nicht davon abhält, von Zeit zu Zeit aus dem Stall auszubrechen und in den Weiten des Welthandels ganz andere Ausbreitungsgeschwindigkeiten zu erreichen als unter den Hühnern Asiens.

Die Evolution und damit die Geschichte ist auch im Kampf zwischen Mikrobe und Wirt nicht an ihrem Ende angelangt. Nur – und das ist auch ein Verdienst der Viren – versteht man heute mehr von den Mechanismen, mit denen sie ihre Informationen in die Wirte einschreiben. Und das lässt selbst bei H5N1 darauf hoffen, bald ein paar Impfstoffe zu haben, die seine Fortschreibung im Menschenwirt behindern. Dass das aber auch Geld kostet und dass das irgendwo herkommen muss, ist ein anderes Problem. Oder auch nicht.

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