Bombensichere Zone

MTV hat Richtlinien erstellt, was in Kriegszeiten gesendet werden darf – und überlässt die Ausführung den Filialen

BERLIN taz ■ Kennen Sie den Song „Invasion“ von Radiohead? Nein? Wir auch nicht. Radiohead selbst geht’s ähnlich, die haben noch nie davon gehört. Könnte aber gut sein, dass die umtriebigen Musiker beabsichtigen, demnächst einen Song mit diesem Titel zu schreiben. Vielleicht hat MTV das virtuelle „Invasion“ ja deshalb vorsichtshalber auf eine Liste mit Songs gesetzt, die zu Kriegszeiten bitte nicht gespielt werden sollen – eine entsprechende Memo erging vorgestern an MTV Europe und MTV UK.

An die MTV-Filialen in den Krieg führenden Ländern USA und Großbritannien erging die Order, bis auf weiteres keine Musikvideos mehr auszustrahlen, in denen „Krieg, Soldaten, Kampfflugzeuge, Bomben, Raketen, Aufstände, soziale Unruhen oder Exekutionen“ zu sehen sind. Eine Sprecherin von MTV Networks in den USA betonte, der Sender fühle sich verantwortlich für die „geschärfte Sensibilität der Zuschauer“. Daher gebe es eine Liste mit „Beispielen“ für unerwünschte Clips, die bitte nicht als Verbotsliste missverstanden werden dürfe. Dazu gehören „Boom!“ von System of a Down (siehe taz vom 22. 3.) oder „Hot in the City“ von Billy Idol. Songs wie „B.O.B. (Bombs over Bagdhad)“ von Outcast sollten aus nahe liegenden Gründen nicht gespielt werden.

Aber auch auf Unverfängliches wie „Don’t Want to Miss a Thing“ von Aerosmith sollte MTV verzichten, weil darin Ausschnitte aus dem Actionfilm „Armageddon“ zu sehen sind – das Bild, welches normalerweise nur noch als ästhetische Oberfläche konsumiert und gelesen wird, kehrt in Kriegszeiten als scharfkantiger Bumerang zurück. Und deswegen werden auch letzte Schlupflöcher für kritische Äußerungen gesperrt: Der US-Rapper Mod Def wollte einen Werbespot gegen den Krieg buchen, doch der MTV blockte ab.

Guter Geschmack?

Kommt dieser Politik in den USA der vorauseilende Gehorsam entgegen, so ist es in der anderen Popnation, England, die „Independent Television Commission“ (ITC). Das britische Pendant zu den hiesigen Landesmedienanstalten verbietet „Beleidigungen des gutes Geschmacks und der Dezenz“.

MTV Deutschland fühlt sich demgemäß von der Order auch nicht betroffen: „Das gilt nur für die USA und England, nicht für uns“, sagte Pressesprecherin Verena Adami der taz. „Boom!“ strahlen sie trotzdem nicht aus: „Es ist einfach nicht in der Rotation.“

Während also die Konkurrenz von Viva tapfer das Peace-Zeichen hochhält, brechen für MTV schwierige Zeiten an. Neben Coca-Cola und McDonald’s zählt der Sender zu den signifikantesten Symbolen einer globalisierten US-Kultur, diversifiziert auf zahlreiche Länder weltweit. Und wenn ein Konzern so viele Gesichter hat, dann ist die Wahrung des Gesichts nur eine Frage der Koordination. ARNO FRANK