„Da laufen zurzeit so einige Psychospielchen ab“

Der britische Konfliktforscher und Militäranalyst Malcolm Chalmers über den Kampf um die Deutung und die Gestaltung der Realität in Kriegszeiten

taz: Herr Chalmers, seit Mittwochabend gibt es Berichte aus britischen Quellen über einen Aufstand in Basra. Was ist aus militärischer Sicht wichtiger: dass es einen Aufstand gibt – oder dass alle glauben, dass es einen Aufstand gibt?

Malcolm Chalmers: Da es so wenig Information darüber gibt, was passiert, ist die Schlacht um die Medien und darum, wie das Denken beeinflusst werden kann, viel wichtiger. Diese psychologischen Operationen sind wichtig für die Öffentlichkeit in Europa, aber auch für die irakische Bevölkerung. Es gab zu einem gewissen Grad Überraschung darüber, dass in den südlichen Städten nicht mehr Iraker auf die Straße kamen, um die Intervention der Verbündeten zu unterstützen.

Warum ist das so?

Eine der Erklärungen der Militärs ist die, dass viele der Leute sich vor Funktionären der Baath-Partei und paramilitärischen Einheiten fürchten. Besonders wenn man bedenkt, was 1991 in Basra passierte, werden die Leute dort warten und sehen, aus welcher Richtung der Wind weht, ehe sie auf die Straße gehen.

Am zweiten Kriegstag hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld behauptet, seine Leute stünden in Kontakt zu irakischen Offizieren. Ein weiteres Beispiel für psychologische Kriegfühung?

Die Verhinderung von Häuserkämpfen in Bagdad hat eine sehr hohe Priorität in der britischen und amerikanischen Strategie. Indem das Pentagon den Eindruck erweckt, es stünde in Kontakt zu solchen Leuten, vielleicht mehr, als tatsächlich der Fall ist, will es das Vorgehen erleichtern. Aber es kann auch sein, dass irakische Generäle auf diese Weise mit den Amerikanern ein Spiel spielen und die Gespräche zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich ernst nehmen. Da laufen so einige Psychospielchen ab.

Schon bevor die ersten Bomben fielen, begannen die psychologischen Operationen mit dem Abwurf tausender Flugblätter, die irakische Truppen zur Desertion aufriefen. Auch die Berichte über die „Shock and Awe“-Strategie hatten offenbar dieses Ziel.

Die „Shock and Awe“-Strategie der amerikanischen und britischen Militärführung ist, wie die Strategie des Blitzkriegs im Zweiten Weltkrig, darauf angelegt, nicht durch Abnutzung des Gegners zu gewinnen, sondern indem man dessen Auseinanderfallen erreicht.

Wie reagiert die irakische Führung darauf?

Die Gegenseite versucht, den Zusammenhalt zu erhalten. Nachdem ihr TV-Sender getroffen wurde, haben sie deshalb sehr bald begonnen, von woanders aus zu senden. So zeigen sie der Bevölkerung, dass sie noch da sind.

Der britische Verteidigungsminister nannte den irakischen TV-Sender einen Teil der irakischen Kommandostruktur.

Der Sender ist sicherlich Teil der Propagandastruktur. Er ist für die Führung wichtig, damit sich die Iraker weiterhin vor Saddam Hussein fürchten. Aber auch den loyalen Anhängern der Führung müssen sie zeigen, dass das Regime noch existiert und unterstützt werden muss.

INTERVIEW:
ERIC CHAUVISTRÉ