Der Generalsekretär auf verlorenem Posten

Die Mission zur Basis scheitert: In Bochum wollte Olaf Scholz die Genossen beruhigen und ihnen die Reformen der Bundesregierung näher bringen. Stattdessen erntet er Kritik

BOCHUM taz ■ Applaus, immerhin. Als SPD-Generalsekretär Olaf Scholz am Montagabend die Stadthalle in Bochum-Wattenscheid betritt, klatschen die Genossen. Verhalten zwar, abwartend, aber sie klatschen.

Selbstverständlich ist das nicht –nicht mehr. Zwar gilt Bochum als „heimliche Hauptstadt der SPD“ (so NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück) und der Bochumer Unterbezirk hat mit 7.200 Sozialdemokraten noch immer doppelt so viele Mitglieder wie alle anderen Parteien der Stadt zusammen. Doch auch hier sitzt der Frust auf die Berliner tief: Als Scholz anlässlich seines Besuchs bei der Basis den frisch renovierten Saal aus den Sechzigerjahren betritt, klagt Bochums SPD-Chef Bernd Faulenbach gerade über die 600 Genossen, die ihre Partei allein im vergangenen Jahr verlassen haben – auch wegen der „vielen handwerklichen Fehler in Berlin“.

Das Murmeln im Saal verstummt, leise redet plötzlich nur noch der alte Geschichtsprofessor Faulenbach. Eine Partei trauert denen nach, die gegangen sind.

Scholz sitzt auf dem Podium, wirkt verkniffen, gebeugt. Faulenbach zitiert Helmut Schmidts Kritik am „Raubtierkapitalismus“, dessen Manager-Millionengehälter „mit dem Leistungsprinzip nichts mehr zu tun“ hätten. Donnernder Applaus. Scholz hält sich die Hände vor den Mund.

Dann redet der Generalsekretär, gibt sich alle Mühe, die Reformen der Bundesregierung zu verkaufen. „Unser Land gerecht erneuern“, so ist sein Vortrag angekündigt worden, und brav arbeitet Scholz sein Thema ab. Natürlich wolle die SPD den Sozialstaat erhalten – im Gegensatz zu CDU und FDP.

Doch der General ist in der Defensive, schaut nervös nach rechts und links, vermeidet jeden Blickkontakt: „Der Sozialstaat als Restgröße ist nicht Perspektive der SPD.“ Es scheint, als referiere Scholz im luftleeren Raum, in seiner eigenen Welt, als seien die Parteifreunde im Saal austauschbares Publikum. „Blüm hat Recht gehabt“, ruft er, das Rentensystem funktioniere. Die Genossen grinsen süffisant.

Krankenversicherung, Reform der Bundesanstalt für Arbeit, Agenda 2010: Der Wirtschaftsanwalt Scholz kämpft, betont seine Ursprünge im sozialdemokratischen Milieu. „Ich bin nicht mit 17 in die SPD eingetreten, um als 45-jähriger Bundestagsabgeordneter diese 10 Euro Praxisgebühr zu beschließen.“ Verhaltener Beifall. Doch als Scholz „Bildungschancen für alle“ verspricht, zischeln die linientreuen Bochumer wütend: „Klar, mit Eliteunis.“ Den Genossen an der Basis bleibt dafür nur Sarkasmus.

Nach der Rede die Aussprache: Die Kritik ist vernichtend. „Jeden Tag kommen die Austritte. Ist euch das egal in Berlin?“ Bestenfalls ausgelacht würden die Sozialdemokraten an ihren Infoständen – die Europawahl, die im September anstehende NRW-Kommunalwahl, die Landtagswahl im kommenden Jahr hatte der SPD-Generalsekretär erst gar nicht erwähnt. „An Realitätsverlust“ grenze Scholz’ Vortrag angesichts des „Berliner Chaos“ bei Kranken- und Pflegeversicherung. Martina Schmück-Glock, SPD-Fraktionsvorsitzende beim Kommunalverband Ruhrgebiet, freut sich, dass sie bereits bei der Aufstellung der Bundestagsabgeordneten gescheitert ist: „Was ist sozial an unseren Reformen?“ Praxisgebühr, Elitediskussion, Mautdesaster: „Das kann und will ich nicht erklären.“

Scholz bittet um Mitleid – und flüchtet sich in Medienschelte: Die Diskussion sei gut, doch die Genossen möchten bitte ihre Wortwahl bedenken. Man solle die Gegenwart der Presse bedenken: „Berichtet wird nur die ganz harte Kritik.“ Bochums SPD-Chef Faulenbach springt seinem Generalsekretär bei: „Zu selbstkritisch“ seien die Genossen, der Kampf mit dem politischen Gegner komme zu kurz. Darauf versöhnlicher Beifall: Scholz bleibt der Generalsekretär der SPD. Seinem Amt gebührt der Respekt der Bochumer, allen Differenzen zur Politik der Bundesregierung zum Trotz. Und die Partei, die gilt in Bochum noch immer viel. ANDREAS WYPUTTA