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: Merkwürdige Patienten, warme Tage in Kreuzberg und ein Fuck auf die USA

Fertigmoscheen aus dem Versandshop

„ANTIFA NAZIS FICKEN ANTIFA!“, hat jemand in blauen Versalien ans Haus meiner Augenärztin gesprüht, gleich unter das überdimensionale 120-Punkt-Schrift-Schild mit „Augenarzt“, und während ich blinzelnd, die Gala auf dem Schoß, im Wartezimmer hocke, habe ich genug Zeit, darüber nachzudenken, was das bedeuten kann.

Wenn die Zeitfenster meines Lebens nicht immer bloß Bullaugen wären, dann hätte ich rein gar nichts gegen das Im-Wartezimmer-Warten. Man kann dabei so schön entspannen, mal wieder uralte Illustrierte durchblättern, aus denen die Rezepte bereits herausgerissen sind, man kann sich aber auch – je nach Arzt – einen Spaß mit den Bakterien machen, die zu tausenden hungrig durch die Luft hüpfen, und wenn die Rezeption in der Nähe ist, kann man anderer PatientInnen Krankheitsgeschichten belauschen.

Bei meinem Hausarzt zum Beispiel wurde ich einmal Zeugin davon, wie ein seltsames Wesen um die 60 sich vor der Rezeption aufbaute und verlangte, zum Doktor reingelassen zu werden, denn „meine Gebärmutter tut mir weh!“ Die Arzthelferin wiegelte ab: „Sie waren doch vorhin schon da, ich glaube, es ist alles in Ordnung.“ Aber das Wesen insistierte: „Ich hab aber wirklich starke Gebärmutterschmerzen, ich muss schnell zum Doktor!“ „Herr Borowski“, sagte die Arzthelferin, „machen Sie sich keine Sorgen, der Doktor hat es sich angeguckt: Bei Ihnen ist alles okay.“ Ich verlor glatt den Faden in meiner Geschichte über Patrick Lindner und seinen Freund (oder seine Mutter?), so beeindruckt war ich. Der Rest des Wartezimmers verzog nicht die Miene, nur zum Husten.

Mir ist außerdem aufgefallen, dass eine Menge Menschen in Berliner Arztwartezimmern nicht lesen. Beim Augenarzt versteh ich das ja noch, ohne neue Brille sind die klitzekleinen Fliegendreckpünktchen eben schwer zu entziffern. Aber was hält einen Haut- und Geschlechtskranken davon ab? Als ich einmal wegen eines merkwürdigen Ausschlags am Hals diesen am grässlichsten von allen Berufsbezeichnungen klingenden Arzt aufsuchen musste, las ich im Wartezimmer allerdings auch nicht. Schließlich war ich viel zu sehr damit beschäftigt, meinen verpustelten Hals ins Licht zu halten, damit auch jeder sehen konnte, dass ich nur deswegen da war.

Doch nun zum Wesentlichen. Auf der Flucht vor den Kriegshetzern ist neulich ein US-Amerikaner aus El Paso, Texas, in meiner Nachbarschaft gelandet. Wir kamen ins Gespräch, als ich am ersten sonnigen Tag neugierig vor dem Ankündigungsplakat für die neue Moschee stehen blieb, die auf den ehemaligen Bolle-Platz am Görlitzer Bahnhof gebaut werden soll. Das heißt, gebaut wird sie nicht direkt: Wenn ich meinem Stammkneipenwirt Glauben schenken kann, der immer genau weiß, was der Kiez plant, dann gibt es irgendwo in Arabien einen Fertigmoschee-Versand, in dessen Katalog man sich die Moscheeteile aussuchen und per Fax bestellen kann: 48 Bankreihen, 12 Kerzenhalter, vier gemauerte Wände, ein Minarett für den Muezzin. Das finde ich ganz großartig! Wenn ich mehr Platz in meiner Wohnung hätte, würde ich dort auch einmal etwas bestellen.

Der Amerikaner jedenfalls konnte meinen zugegeben recht schwach übersetzten Ausführungen über den „readymade mosque service“ nicht so recht folgen, und schwenkte nach einem kurzen Gespräch über den Krieg gleich zu etwas über, was er wichtiger fand: „How long is it gonna be that warm here?“ Ewig, log ich. Dann schauten wir beide versonnen auf das bemalte Laken, das aus dem vierten Stock des gegenüberliegenden Hauses baumelte (und auf geradezu wundersame Weise mit den Ausführungen am Anfang dieses Textes korreliert): „FIST FUCK USA“ stand darauf. JENNI ZYLKA