„Die meisten haben Argumente“

Die Geburten per Kaiserschnitt nehmen zu. Die Größe und das Gewicht der Kinder auch, sagt Volker Ragosch, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe im AK Altona. Er fordert, die Entscheidung der Frauen zu respektieren. Es gehe in den seltensten Fällen um Lifestyle-Fragen

VOLKER RAGOSCH, 46, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der Asklepios Klinik Altona FOTO: ASKLEPIOS KLINIK

VON KENDRA ECKHORST

taz: Herr Ragosch, die Geburten per Kaiserschnitt ohne vorangegangene Komplikationen nehmen zu. Ist der Wunschkaiserschnitt eine Alternative zur natürlichen Geburt?

Volker Ragosch: Wenn es keine besonderen Beschwerden gibt, keine Krankheiten und das Kind normal groß ist, dann ist die vaginale Geburt die beste Geburt, das steht außer Frage. Aber da die durchschnittliche Größe des Kindes zunimmt, das heißt bei und über 4.000 Gramm liegt, nehmen hier Probleme mit dem Beckenboden zu. Auch Geburtsstillstände während der Geburt treten öfter auf. Wird in solchen Fällen ein Kaiserschnitt gemacht, würde ich aber nicht von Wunschkaiserschnitt sprechen, denn es steckt eine medizinische Notwendigkeit dahinter.

Und wann liegt dann ein Wunschkaiserschnitt vor?

Die allerwenigsten Frauen kommen indikationslos und wollen einen Kaiserschnitt. Das ist nach wie vor die Ausnahme. Es gibt aber diese Frauen, eine Gruppe von gefühlten drei bis fünf Prozent aller operativen Entbindungen, für die der Kaiserschnitt eine Alternative zur vaginalen Geburt ist.

Kennen Sie Beweggründe der Frauen, die einen Wunschkaiserschnitt machen lassen?

Viele haben Angst vor den Wehen und Angst davor nicht mit der Geburt klarzukommen. Sie wollen keine Schmerzen haben. Manche wollen auch nicht das Risiko eingehen, ihren Beckenboden zu beschädigen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit nur bei 20 Prozent liegt. Sie lehnen das ab und wollen eine ungestörte Sexualität haben. Keine Probleme mit Senkungen und Inkontinenzen. Die meisten Frauen haben gute und nachvollziehbare Argumente, Lifestylefragen sind die Ausnahme. Es ist ein selbstgewähltes Vorgehen, dass auch nicht bewertet werden sollte.

Spielen Planbarkeit und Schmerzfreiheit eine zunehmende Rolle bei der Geburt?

Der Gedanke „Wir terminieren unsere Geburt!“ ist für die wenigsten Frauen ein Argument. Im Gegenteil, sie finden es komisch, einen Termin zu haben, an dem das Kind auf die Welt kommt. Zur Ehrenrettung der Frauen muss ich sagen, es gibt hier nicht dieses Manager-Denken, das Männer manchmal an den Tag legen – den Tag von morgens bis abends strukturieren und um 14 Uhr mal ein Kind zur Welt bringen. Nur wenige Frauen denken so und wollen Tag und Stunde genau festlegen. Für die anderen ist es eine unangenehme Nebenwirkung, und andere Faktoren spielen eine Rolle.

Ist ein Kaiserschnitt gefährlich für das Kind?

Das war früher ein Problem, da schon nach der 37. Woche von einer Termingeburt gesprochen wurde. Da gab es häufig Lungenprobleme wie Atemnot, eine sogenannte „Nasse Lunge“ und die Säuglinge mussten beatmet werden. Heute findet der Kaiserschnitt sehr nah am errechneten Termin statt, so dass für das Kind keine Risiken mehr bestehen. Komplikationen stellen heutzutage eine absolute Ausnahme dar.

Wie schwerwiegend ist der Eingriff für die Frau?

Die Operationen sind schonend und möglichst wenig Komplikationsträchtig. Auch wird in allen Geburtskliniken mit der „Misgav-Ladach-Methode“ gearbeitet, das heißt, der Bauch wird durch Dehnen und Reißen geöffnet statt durch Schneiden. Probleme können beispielsweise bei nachfolgenden natürlichen Geburten auftreten. Es kann eine Narbe in der Gebärmutter reißen oder der Mutterkuchen ist mit dem Narbengewebe verwachsen. Das kommt häufiger vor als bei Normalgeburten. Bei den Liegezeiten sind hier wenige Unterschiede auszumachen. Bei Spontangeburten liegen sie mittlerweile bei knappen drei Tagen und bei Kaiserschnitten bei viereinhalb Tagen.

Es gibt Theorien, die Kaiserschnitt-Kindern eine geringere Durchsetzungskraft im Leben nachsagen.

Das ist Unsinn. Die Kaiserschnittrate liegt in Deutschland bei knapp 30 Prozent, das hieße, es gebe 30 Prozent Versager. Hier möchte ich mal die Studie sehen, die diese Aussage in einer Langzeitbeobachtung mit fundierten Daten erforscht. Es wird in der Geburtshilfe so viel behauptet, was die Mütter verunsichert. Sie wollen nur das Beste für ihr Kind und sind extrem sensibilisiert, denn welche Mutter möchte ein lebensuntüchtiges Kind, einen Versager auf die Welt bringen. Es ärgert mich, gerade für die Frauen, die einen Kaiserschnitt medizinisch brauchen.