Das Altonaer Museum zeigt Ludwig Schirmers Fotos aus dem Thüringen der 50er Jahre
: Nicht reich und nicht unglücklich

Als muffig und spießig werden die 50er Jahre oft diffamiert, als Jahrzehnt des Stillstands zwischen Kriegsende und den Swinging Sixties. Dass die 50er Jahre aber auch Neubeginn und Aufbruch bedeuteten – in beiden Teilen Deutschlands – wird oft vergessen. Ludwig Schirmers Fotografien aus dem thüringischen Dorf Berka, die jetzt im Altonaer Museum zu sehen sind, erzählen von dieser Aufbruchszeit aus der DDR-Provinz. Denn auch wenn das Wirtschaftswunderland BRD weit weg war, schauen die Menschen recht selbstbewusst in die Kamera. Etwa das junge Paar, das in sanft hügeliger Landschaft die Hände in die Hüften stemmt und entschlossen den Blick bergaufwärts in die Ferne richtet. Die Zukunft scheint eine gute zu werden.

Ute Mahler, die Tochter Ludwig Schirmers, hat aus dem Nachlass des 2001 gestorbenen Fotografen diese Alltagschronik zusammengestellt, mit der das Altonaer Museum eine Ausstellungsreihe zum Thema Heimat eröffnet. Es sind sorgfältig komponierte Schwarzweißfotos ohne jeden Schnappschusscharakter. Der Müllermeister Ludwig Schirmer hat sie abends und am Wochenende aufgenommen. Als eine Art Dorfdokumentarist galt der Freizeitfotograf, zwar etwas belächelt, aber doch akzeptiert und manchmal auch beauftragt. Frei und offen blicken die porträtierten Angehörigen oder Nachbarn bei der Arbeit auf dem Feld, bei Hochzeiten und weinseligen Festen in die Kamera. Oder lassen sich nicht von ihr stören – wie das sich küssende ältere Paar vor einem Fachwerkhaus. Reich sieht hier keiner aus, unglücklich aber auch nicht.

Ute Mahler, die Tochter des Fotografen, der 1961 sein Hobby zum Beruf machte und ein eigenes Fotostudio in Berlin eröffnete, ist wie ihre Mutter auf manchen Fotos zu sehen. Trotz dieser privaten Untertöne ist die Ausstellung Zuhause mehr als ein persönliches Familienalbum eines Hobbyfotografen. Es ist ein Zeitzeugnis der 50er Jahre – und das gilt für beide Teile Deutschlands. Nur wenige Fotos, wie die von Aufmärschen in der Dorfstraße, weisen auf die Geschichte der DDR hin. Die Jungs tragen wie überall im Europa der 50er Jahre kurze Hosen, das Haar mit Seitenscheitel und dickem Pony, die Mädchen sehr kurze Sommerkleider, Kniestrümpfe und wollene Unterhosen. Das Miteinander auf dem Land war das Wichtigste, erzählt Ute Mahler, die selbst Fotografin wurde. So hat ihr Vater meist Gruppen aufgenommen: Bewohner Berkas, die im Sonntagsstaat die Dorfstraße heruntergehen, Kinder, die aufgeregt um ein Hochzeitspaar herumspringen. Oder sechs Männer, die Arm in Arm johlend die Dorfstraße entlangspazieren. Vielleicht am Vatertag. Nur einer läuft ein wenig abseits. Er geht auf Krücken, ein leeres Hosenbein, modisch weit, ist nach oben umgeschlagen. Der Krieg war noch ganz nah.

Und heute? Ist Berka ein ganz anderer Ort. Ute Mahler, die ihr Heimatdorf wieder besucht hat, meint, das Auffallendste seien die heute menschenleeren Straßen. Das liegt nicht nur am Bevölkerungsschwund. Denn keiner läuft mehr, alle sitzen nur noch im Auto. Und da ist Berka wohl wieder das Beispiel eines ganz normalen gesamtdeutschen Dorfes im 21. Jahrhundert. Karin Liebe

Di–So 11–18 Uhr, Altonaer Museum; bis 9.5.