Journalisten golfen in Oldenburg

Seit einer Woche befinden sich die meisten Redakteure der Bremer Tageszeitungen AG im Streik. Gestern unterstützten sie ihre Kollegen in der Huntestadt. Selbst Weser-Kurier-Chef Weise räumt ein: „Ich habe für diesen Manteltarifvertrag mitgestreikt“

Bremen taz ■ 11.15 Uhr. Ein Grüppchen von Menschen, die sich in weiße Plastiktüten gehüllt haben, steht vor dem Bremer Hauptbahnhof. „Journalisten und Journalistinnen im Streik“ lautet die Aufschrift der Kunststoff-Ponchos. Die Redakteure des Weser-Kuriers (WK) und der Bremer Nachrichten sind in Aufbruchsstimmung. Viele Jahre sind Journalisten nicht mehr auf die Straße gegangen. Jetzt demonstrieren sie: „Gegen die soziale Herabstufung eines ganzen Berufsstandes“, wie es ein Redakteur des Weser-Kuriers ausdrückt. Gegen eine Sparpolitik, die dem Einzelnen noch mehr Arbeit aufbürden und Arbeitsplätze kosten werde.

Es scheint, als sei ein Knoten geplatzt. Hatte man den bisherigen Stellenabbau in den Verlagen – mal wurden freie Fotografen nicht weiter beschäftigt, mal mussten Vertriebsmitarbeiter gehen – ohne lautstarke Proteste geschluckt, so schweißt die gemeinsame Aussicht auf eine Arbeitszeiterhöhung von 36,5 auf 40 Stunden und eine Urlaubskürzung um bis zu fünf Tage die schreibende Zunft zur Solidargemeinschaft zusammen.

Heftig erregt sich eine junge Redakteurin über eine freie Mitarbeiterin beim Weser-Kurier, die dazu beitrage, dass dort der Laden weiter laufe: „Die hat gesagt, es sei gut, dass wir streiken – da könne sie mehr Geld verdienen.“ 90 Prozent der Redakteure bei der Bremer Tageszeitungen AG (Bretag) befinden sich im Streik. Auch die Volontäre. Da sollten sich möglichst auch die „Freien“ eindeutig positionieren, so der Grundtenor. Zumindest in Bremen, wo sich der Druck aus der Chefetage dem Vernehmen nach in Grenzen hält.

Hier schreibt der Chef selbst

Chefredakteur Volker Weise muss selbst kräftig in die Tasten hauen dieser Tage. Der Weser-Kurier werde derzeit maßgeblich von seinen leitenden Redakteuren vollgeschrieben, erzählt Weise, sechs Chefs arbeiteten hart daran. Dazu kämen Artikel von freien Mitarbeitern und diverse Meldungen der Nachrichtenagenturen. Er halte den Streik seiner Redakteure für ein „legitimes Mittel“, sagt Weise, der ansonsten Wert darauf liegt, „nicht weiter Öl ins Feuer gießen“ zu wollen. Würde er auch mit streiken, wenn er einfacher Redakteur wäre? Die Antwort kommt prompt: „Ich habe als Redakteur für diesen Manteltarifvertrag mit gestreikt, das sagt doch alles.“ Andererseits: Man müsse auch die „objektiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ berücksichtigen, in denen das Land sich befinde. Und mit Blick auf die streikende Belegschaft zitiert der WK-Chef das Diktum des SPD-Urgesteins Herbert Wehner: „Wer rausgeht, der muss auch wieder reinkommen.“ Ein wenig ärgert sich Weise schon, „dass ausgerechnet bei uns“ so viele die Arbeit niedergelegt hätten. Dabei habe der Verlag immer „treu die Tarifverträge erfüllt“, während andere ihn unterlaufen hätten. Auch hätten die Bremer Arbeitgeber aufgrund ihres kleinen Landesverbands auf Bundesebene „relativ wenig Einfluss“.

Oldenburger sind neidisch

Bretag-Vorstand Ulrich Hackmack bläst ins selbe Horn: „Ich habe ein gewisses Verständnis für die Empfindlichkeit, wenn es um den Manteltarifvertrag geht“, sagt Hackmack – aber die Branche müsse sich eben „langsam auf die wirtschaftliche Realität einstellen“.

Unterdessen sind die Bremer Redakteure am Oldenburger Bahnhof angekommen. Zusammen mit Gleichgesinnten der dortigen Nordwest-Zeitung (NWZ) marschieren sie zum herrschaftlichen Pressehaus der NWZ. „Fast wie die Erstürmung des Hambacher Schlosses“, witzelt ein Bremer. „Wir haben in den letzten Tarifverhandlungen deutlich weniger gefordert als andere Branchen“, erklärt ein Politikredakteur. Man bekomme auch keine Zuschläge für ungünstige Arbeitszeiten. Die derzeitige Urlaubsregelung sei „ein Ausgleich, den wir uns nicht nehmen lassen wollen.“ Unzufriedenheit herrscht über die Berichterstattung der bestreikten Blätter. Hier blicken die Oldenburger neidisch auf Bremen: Dort, so eine Volontärin, werde zumindest mal auf Seite Eins über den Ausstand berichtet. In der NWZ sei das Thema wiederholt in Artikeln über den IG-Metall-Streik versteckt worden.

Wie ihre Kollegen ist sie mit einem Golfschläger erschienen. Der Anlass: ein Kommentar von NWZ-Chefredakteur Rolf Seelheim. Leistung gebe es „nicht zum Nulltarif“, hatte Seelheim doziert, sie koste Freizeit und Bequemlichkeit. Wer die jüngsten Tarifverhandlungen beobachte, erkenne, dass es kaum noch um höhere Bezahlung gehe – „sondern vor allem um den Erhalt komfortabler Arbeits- und Urlaubszeiten.“ „An dem Spruch: Alle Golfspieler unter unseren Mitarbeitern sind zur Zeit im Streik“, so der NWZ-Chef weiter, „ist etwas Wahres“. kut/jox