Konservative wollen Wahlen um jeden Preis

Entscheidend für einen Erfolg der Reformkräfte im Iran wird sein, ob sie die Massen mobilisieren können

Irans Revolutionsführer Ali Chamenei hat die Forderung der Abgeordneten der Reformfraktion und der Regierung, die für den 20. Februar vorgesehenen Parlamentswahlen zu verschieben, abgelehnt. Gleichzeitig hat er den Wächterrat angewiesen, dessen Ablehnung von mehr als zweitausend Kandidaten, zu denen auch 83 amtierende Mitglieder der Reformfraktion im Parlament gehören, noch einmal zu überprüfen.

In den Tagen zuvor hatten 125 Parlamentsabgeordnete, die sich seit drei Wochen aus Protest im Streik befinden, ihr Mandat niedergelegt. Sämtliche Organisationen der Reformer haben erklärt, sollten die Wahlen doch abgehalten werden, würde sie daran nicht teilnehmen.

Die höchst verfahrene Situation veranschaulicht die Unvereinbarkeit eines Staates, der seine Befehle von Gott empfängt, mit einer Republik, die sich nach dem Willen des Volkes richtet. Die herrschenden Ajatollahs wollen zwar, dass das Volk zur Wahl geht, aber sie wollen zuvor bestimmen, wen es wählen soll. Sie wollen ein Parlament, aber dieses Parlament soll nur Gesetze verabschieden, denen ernannte Mitglieder des Wächterrats zustimmen. Hier wird der Begriff Republik ad absurdum geführt.

Sowohl die Regierung Chatami als auch die Reformabgeordneten haben, wenn auch oft zähneknirschend, dieses Spiel mitgemacht, weil sie den Gottesstaat zwar demokratischer gestalten, ihn jedoch erhalten wollten. Ihr historisches Verdienst ist, dass sie mit ihren Forderungen nach Demokratie den Widerspruch auf die Spitze getrieben haben. Doch jetzt gehören sie selbst zu den Ausgestoßenen und bieten erst jetzt sie den Islamisten die Stirn.

Ihre Hoffnung besteht darin, dass die Funken, die sie, verbunden mit radikalen Forderungen, an das Volk senden, endlich zünden und die Massen aus ihrer Passivität herausreißen. Aber das Volk ist zutiefst enttäuscht. Mehr als 20 Millionen haben 1997 und 2001 Chatami zum Staatspräsidenten gewählt und den Reformern zur Eroberung des Parlaments verholfen. Aber ihre Forderungen blieben unbeantwortet.

Nun ist fraglich, ob sie das verlorene Vertrauen zurückgewinnen können. Das ist aber in dieser Krisensituation die entscheidende Frage. Sollte das Volk weiter unbeteiligt bleiben, werden die Islamisten einen Durchmarsch wagen, sie werden, gleichgültig wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird, das Parlament und anschließend die Regierung übernehmen. Sie werden sich mit den USA und mit Europa arrangieren, im Irak und Afghanistan Konzessionen machen und den Weg für ausländische Investitionen ebnen. Dank der hohen Ölpreise werden sie auch vorübergehend dem Mittelstand gewisse wirtschaftliche Vorteile verschaffen können.

Ein solches Szenario würde den Demokratisierungsprozess, der in Iran die gesamte Gesellschaft erfasst hat, für Jahre ins Stocken bringen. Einige Reformabgeordnete haben am Dienstag bei einer Studentenkundgebung die Studenten aufgefordert, sich zu bewegen und das Volk mitzureißen. Jetzt gehe es nicht mehr allein um Reformen, sondern um die Wahl zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen Freiheit oder Knechtschaft. Die Abgeordneten wissen, wovon sie reden. Nun heißt es abwarten, ob in den nächsten Tagen die Funken ein Feuer entfachen werden.

BAHMAN NIRUMAND