Nicht zum Aushalten

In einem ist sich die Hälfte der US-Amerikaner mit dem Rest der Welt einig: Bush muss weg. Und es kann nur besser werden – selbst wenn John Kerry das Rennen macht

Wenn sich die US-Politik verändern soll, kann auch Europa nicht so weitermachen

Wer in den letzten eineinhalb Jahren mit europäischen AußenpolitikerInnen über das Verhältnis zu den USA gesprochen hat, vernahm bisweilen die flehentliche Hoffnung, dass man es bald mit einer anderen US-Regierung zu tun haben werde. Die transatlantischen Konflikte blieben ungelöst. Bush muss weg – darin ist sich rund die Hälfte der US-Amerikaner mit dem Rest der Welt einig.

Nach dem ersten „Super Tuesday“ der demokratischen Kandidatenkür ist es nicht mehr völlig vermessen, von John Kerry als wahrscheinlichem Gegenspieler George W. Bushs bei den US-Präsidentschaftswahlen im November auszugehen. Was heißt das für die Erwartungen an einen Machtwechsel?

Zunächst: Gut, dass Howard Dean wohl doch nicht Kandidat wird. Dean hat zwar die für Linke bessere Agenda – hätte aber die schlechteren Wahlchancen gehabt. Wer in den Primaries für Dean ist, dem darf getrost hoher Leidensdruck unterstellt werden: Dean-, Kucinich- oder Sharpton-AnhängerInnen dürften jeden Kandidaten unterstützen, um Bush aus dem Weißen Haus zu vertreiben. Umgekehrt wären Edwards-, Clark-, Kerry- oder gar Lieberman-SympathisantInnen durchaus nicht als sicheres Wählerreservoir für Dean zu verbuchen gewesen.

Kerrys Agenda ist nicht besonders originell, aber in wesentlichen Kernpunkten vernünftig, wenn auch in Teilen opportunistisch: Er hat als Senator für den Patriot Act gestimmt, will ihn jetzt aber auslaufen lassen. Er war für den Irakkrieg, sagt nun aber, dass er den Fehlinformationen der Geheimdienste geglaubt habe. Er hat sich im Senat gegen den Rückzug der USA aus dem Atomwaffenteststopp eingesetzt und gefordert, die US-Verwicklung in Lateinamerika aufzuarbeiten. Er ist für Abtreibungsrechte, gegen die Todesstrafe, gegen Ölbohrungen in Alaska. Er will strenge Energieeffizienzstandards einführen und den Anteil erneuerbarer Energien ausbauen. Das ist eigentlich nicht viel – und klingt doch für europäische Ohren geradezu verheißungsvoll.

Schließlich erwartet schon längst niemand mehr, dass eine neue US-Regierung aktiv zur Lösung weltpolitischer Probleme beitragen könnte, etwa zum Nord-Süd-Ausgleich oder zur Durchsetzung internationaler Rechtsstaatlichkeit. Die Welt wäre schon glücklich, wenn ein zukünftiges Weißes Haus all das nicht mehr aktiv sabotieren würde. Die Erwartungen an eine neue Regierung reflektieren insofern, welch selbst in der Republikanischen Partei keineswegs einhellige Extremposition die Bush-Regierung eingenommen hat. Sie ist aus dem Mainstream der US-Politik weit nach rechts ausgeschert, obwohl ihr das überaus umstrittene Wahlergebnis des Jahres 2000 dazu keinerlei Legitimation verliehen hat.

Die Agenda eines möglichen Präsidenten Kerry hat mit seinen tatsächlichen Spielräumen womöglich wenig zu tun: Wenn der US-Kongress in republikanischer Hand bleibt, wird er fast nichts von seinen Vorhaben umsetzen können. Trotzdem sind die Hoffnungen auf einen Machtwechsel berechtigt. Denn es ist ja kein linksradikaler Klospruch, dass wesentliche Teile der Regierungspolitik im unmittelbaren Interesse einer kleinen, mit dem Bush/Cheney-Clan direkt verflochtenen Wirtschaftslobby sind. Und es stimmt, dass zudem ein kleiner neokonservativer Denkerkreis des American Enterprise Institute einen fast exklusiven Zugriff auf die US-Außen- und Verteidigungspolitik hat. Jeder Machtwechsel in Washington würde wenigstens das ändern. Andere Gedanken würden gedacht, andere Think-Tanks zu Beraterstäben gemacht, andere Interessen bedient – und all das könnte nur zukunftstauglicher sein als das, was jetzt ist.

Die Reihe der von der Bush-Regierung hinterlassenen Hypotheken allerdings erschreckt. Innenpolitisch wird jede Regierung auf Jahre hinaus mit dem riesigen Haushaltsdefizit zu kämpfen haben – selbst wenn Kerry, wie angekündigt, Bushs Steuergeschenke zumindest für die einkommensstärksten Sektoren rückgängig machte.

Außenpoltitisch bleibt der Nahe Osten auf unabsehbare Zeit zentrale Herausforderung der US-Außenpolitik. Die derzeitige Weichenstellung mag zwar katastrophal sein, ist aber nicht so leicht zu ändern – vor allem mit Blick auf den Irak. Eine neue US-Regierung muss, genau wie der Rest der Welt, mit den durch den Krieg geschaffenen Fakten umgehen. Die neokonservativen Lehrmeister um den außenpolitischen Chefideologen Richard Perle haben ein strategisches Ziel: sich militärisch im Irak festzusetzen, um von da aus die Macht der arabischen Regime von Syrien bis Saudi-Arabien, von Teheran bis in die Emirate allmählich, und zur Not militärisch, zu zersetzen.

Will man das nicht – was dann? Hier hilft auch der verklärte Blick zurück wenig: Es ist kaum denkbar, dass ein Präsident Kerry etwa im Konflikt zwischen Israel und Palästina da wieder beginnt, wo Bill Clinton einst gescheitert war. Möglich wäre dagegen, die auch von der Bush-Regierung immer wieder verkündete Option auf einen palästinensischen Staat endlich ernst zu nehmen. Man müsste also aufhören, im Zusammenspiel mit der israelischen Regierung alles zu tun, um ebendiesen Staat zu verhindern. Notwendig wäre so ein Schritt – hinreichend ist er nicht.

Allerdings: Ein Machtwechsel in Washington wäre auch eine Handlungsaufforderung an jene europäischen Regierungen, die sich gegen den Irakkrieg gestellt haben und die derzeitige Strategie für verfehlt halten. Verharren sie weiterhin lediglich in ihrer US-kritischen Haltung bei ansonsten weitestgehender Ignorierung der Probleme – auch des Problems Terrorismus! –, hieße das: Die Chance zum Neuanfang würde vertan, sollte sie sich denn im November auftun. Die Bush-Regierung lässt mit ihrem einseitig auf militärische Stärke ausgerichteten Vorpreschen den Europäern wenig Möglichkeiten, den Beweis anzutreten, dass es auch anders ginge.

Kerrys Agenda ist nicht besonders originell, aber in wesentlichen Kernpunkten vernünftig

Nicht wenige europäische Regierungen aber benutzen das durchaus auch als bequeme Ausrede fürs Nichtstun. Die Erkenntnis etwa, dass auch jenseits der US-Hysterie vom Erstarken eines extremistischen politischen Islam ernsthafte Gefahren ausgehen, scheint sich noch nicht wirklich durchgesetzt zu haben. Wenn sich die US-Politik verändern soll, kann auch Europa nicht so weitermachen. Sonst läuft ein Machtwechsel in Washington außenpolitisch ins Leere.

Ob es den geben wird, ist allerdings noch mehr als ungewiss. Auch in den USA gilt der alte Kalenderspruch, dass es viele Gründe gibt, alles beim Alten zu belassen, und nur einen, etwas zu ändern: Du hältst es einfach nicht mehr aus. Eine verlorene Wiederwahl ist wie eine Absetzung des Amtsinhabers – sie verlangt einen hohen Grad an Unzufriedenheit und Zukunftsängsten. In diesem Spiel gibt es derzeit noch viele Unbekannte – eine davon heißt al-Qaida. Und es geht längst nicht nur um die Frage, ob der Gegenkandidat wirklich John Kerry heißt.

BERND PICKERT