Nordfront light

Die Möglichkeiten der US-Army im Nordirak sind begrenzt. Sie soll Ölfelder sichern und die Kurden auseinander halten

von BEATE SEEL
und BERND PICKERT

Die USA haben damit begonnen, die lang erwartete zweite Front im Nordirak zu eröffnen. Eine Woche nach Kriegsbeginn sind gestern 1.000 US-amerikanische Fallschirmjäger im kurdischen Autonomiegebiet gelandet. Dort sicherten sie das Flugfeld Harir, das rund 75 Kilometer nordöstlich von Erbil liegt. Über diesen Brückenkopf sollen rasch weitere Soldaten und Kriegsgerät herangeschafft werden. Die Luftlandeoperation fand nach monatelangen vergeblichen Bemühungen der USA statt, von Iraks nördlichem Nachbarn Türkei die Erlaubnis zur Stationierung von 62.000 Soldaten zum Aufbau einer Nordfront zu erhalten.

Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums soll mit dem Aufbau der Nordfront der Druck auf die um Bagdad gruppierten Verteidigungslinien erhöht werden. Daneben könnten die US-Truppen auch die Ölfelder bei den Städten Kirkuk und Mosul unter Kontrolle bekommen, die außerhalb des Autnomiegebietes liegen.

Amerikaner in Kurdistan

Auf einer Pressekonferenz in Katar sagte Brigadegeneral Vincent Brooks, dass die Soldaten auch eingesetzt würden, um die kurdischen Gebiete zu schützen – möglicherweise aber auch, um Spannungen zwischen den kurdischen Organisationen zu unterbinden. Eine weitere Funktion könnte sein, Auseinandersetzungen zwischen Kurden und türkischen Soldaten zu verhindern, sollten diese einmarschieren. Schließlich erleichtert die Ankunft der US-Soldaten auch die internationale Hilfe für die Kurden, die aus der Reichweite irakischer Stellungen ins Landesinnere geflohen sind.

Doch selbst wenn in den nächsten Tagen weitere US-Soldaten in Kurdistan landen, ist dies nicht mit dem zunächst von der Türkei aus geplanten Einmarsch zu vergleichen. Im Nordirak gibt es keine große Militärbasis, die auch nur annähernd mit dem türkischen Incirlik vergleichbar wäre. Die vier Landepisten sind relativ klein und in keinem besonders guten Zustand. Von ihrer ursprünglichen Strategie werden sich die USA daher verabschieden müssen, auch wenn jetzt der alte Begriff „Nordfront“ in aller Munde ist.

Die kurdischen Organisationen werden dennoch die Ankunft der US-Soldaten begrüßen, selbst wenn dies bedeuten könnte, dass der Krieg dann auch nach Kurdistan getragen wird. Die allgemeine Erwartung ist, dass im Falle vermehrter US-Angriffe die irakische Armee gegen die Kurden zurückgeschlagen wird. Und die Befürchtung lautet, dass der Irak dann auch chemische und biologische Waffen einsetzen wird, falls er sie besitzt.

Die kurdischen Organisationen selbst haben bisher nicht aktiv in den Krieg eingegriffen. In der realistischen Einschätzung, dass sie ohne massive US-Unterstützung verloren sind, haben sie sich bisher zurückgehalten. Damit könnte es jetzt vorbei sein.

In den USA selbst beginnt sich derweil die Erkenntnis durchzusetzen, dass der Krieg länger dauern könnte als erwartet. Die späte Einrichtung einer zweiten Front, so Militäranalysten, habe es der irakischen Regierung erlaubt, ihre Truppen auf den Süden zu konzentrieren und den anrückenden US-amerikanischen und britischen Einheiten Widerstand entgegenzusetzen. Zudem hat sich die oft geäußerte Hoffnung nicht erfüllt, dass sich die irakischen Einheiten nach kurzer Zeit im großen Stil den US-Truppen ergeben würden.

Dabei scheint das Hauptaugenmerk nach wie vor einer baldigen Schlacht um Bagdad zu gelten. Dort, so wird erwartet, haben sich die Kerntruppen der irakischen republikanischen Garden verschanzt, um die Verteidigungsringe um die Stadt zu halten. Seit zwei Tagen schon konzentrieren sich die Luftangriffe vor allem auf Ziele im Süden Bagdads. Zwar ist von beiden Seiten nicht zu erfahren, was genau dort getroffen werden soll – die Militäranalysten gehen aber davon aus, dass Stellungen der Republikanischen Garde Ziele der US-Bomben werden. Sollte es gelingen, deren Verteidigungsringe zu überwinden, dann steht, so wie sich die Situation jetzt darstellt, doch noch ein Häuserkampf um Bagdad selbst aus. Denn dort sollen irakische Paramilitärs, Spezialeinheiten der Republikanischen Garde und Saddam Husseins eigene Sicherheitskräfte verschanzt sein.

Die Hoffnung, durch Desertion, Volksaufstände oder schlicht mangelnde Kampfmoral könnte der Krieg doch eine schnelle Wende nehmen, ist geschwunden. 12.000 weitere Marines sind gestern von ihrer Basis inTexas aus auf den Weg in die Region gebracht worden. Der Krieg wird länger dauern. Er wird mehr Menschen brauchen.