Zur Schule statt in den Steinbruch

Würde die Kinderarbeit weltweit abgeschafft, überstiegen die wirtschaftlichen Vorteile die Kosten bei weitem, ergibt eine neue Studie der Internationalen Arbeitsorganisation

BERLIN taz ■ Die weltweite Abschaffung der Kinderarbeit würde enorme wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Das schreibt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO, Genf) in einer gestern veröffentlichten Studie. Berechnet für den Zeitraum bis 2020 würden die Kosten rund 760 Milliarden US-Dollar betragen, der Wohlstandszuwachs hingegen über 4.000 Milliarden Dollar.

Diese Zahlen beruhten teilweise auf Schätzungen, räumt die ILO ein. Die Schlussfolgerung, dass die Einnahmen die Ausgaben bei weitem überstiegen, sei jedoch belastbar. 246 Millionen Kinder müssen nach ILO-Angaben derzeit arbeiten, um das Einkommen ihrer Familien zu sichern. 179 Millionen Kinder leisten dabei Arbeiten, die ihre Gesundheit oder Psyche schädigen.

Als besten und einfachsten Weg, die international geächtete Kinderarbeit abzuschaffen, bezeichnet die ILO Bildung. Wenn Kinder auf die Schule geschickt würden statt in Steinbrüche, Fabriken oder Bordelle, steigere das ihre späteren Verdienstchancen. Nach Berechnungen der Arbeitsorganisation bedeutet jedes Jahr, das unter 14-jährige auf einer Grundschule verbringen, einen späteren Einkommenszuwachs von 11 Prozent.

Und nicht nur die individuellen Möglichkeiten nähmen zu, sondern auch der Wohlstand der entsprechenden Volkswirtschaft, argumentiert die ILO. Höhere Qualifikationen und mehr Wissen seien die Voraussetzungen dafür, dass heute schlecht entwickelte Staaten in Zukunft einen größeren Anteil am Welthandel übernehmen könnten.

Ein Haken an der Sache: In den ersten Jahren entsprechender Programme wären die Kosten höher als die Einnahmen. Familien, die ihre Kinder nicht mehr zur Arbeit schickten, müssten einen Ausgleich für das ausbleibende Einkommen erhalten. Die Verbesserung der Schulbildung könne deshalb nur gelingen, schreibt die ILO, wenn arme Haushalte von jeweiligen Staat finanziell unterstützt würden, solange die Kinder die Schule besuchen. Als Beispiel nennt die ILO entsprechende Programme in Brasilien.

Klaus Heidel, Experte für Kinderarbeit bei der Werkstatt Ökonomie in Heidelberg, hält den Nutzen der Studie für fraglich. Kinderarbeit werde nicht nur durch Armut, sondern zum Beispiel auch durch das Kastensystem in Indien getragen, so Heidel. Der Ansatz, die Bildung zu fördern, sei deshalb oft zum Scheitern verurteilt. Anstatt Kinderarbeit abschaffen zu wollen, könne es sinnvoller sein, die soziale und rechtliche Situation der Kinder zu stärken.

HANNES KOCH