Hart kämpfende Formen

Von der Teeschale zur Thermoskanne: Die Ausstellung „JAPAN – Keramik und Fotografie – Tradition und Moderne“ zeigt, dass die bekannten Gegensätze nicht überall als solche gesehen werden

von KARIN LIEBE

Eine junge Frau bereitet Essen zu. Sie quetscht etwas aus einer Plastiktüte, wahrscheinlich in eine Schale, doch das Gefäß ist verdeckt von einer Teekanne, daneben steht eine chromglänzende Thermoskanne. Das ganz normale Küchenchaos hat der japanische Fotograf Norio Kobayashi in seiner 2000 begonnenen Serie „Digital Kitchen“ festgehalten. Vom feierlichen Ernst einer japanischen Teezeremonie ist hier nichts zu spüren, eher Hektik und bisweilen Erschöpfung. Und doch, beim dritten Hinschauen auf das Bild ist es die Teekanne, die so etwas wie Ruhe ins Bild bringt.

Keramik und Fotografie sind in Kobayashis Foto ganz beiläufig vereint, und das in einer Ausstellung, die ansonsten beide Bereiche räumlich strikt voneinanander trennt. Bei der Schau JAPAN – Keramik und Fotografie – Tradition und Gegenwart hat sich Deichtorhallen-Leiter Zdenek Felix, der auf einer Japanreise Keramik und Fotografie als die vitalsten Formen der Kultur erlebte, viel vorgenommen. 18 Keramiker und 19 Fotografen mit Werken aus den letzten drei Jahrzehnten sind beim zweiten Japan-Schwerpunkt der Deichtorhallen nach der Manga-Ausstellung im Winter vertreten.

Wer durch die großzügig gestalteten Räume mit den Vitrinen voller schlichtem Teegeschirr, den voluminösen Ton-Skulpturen, den Schwarzweißfotos vom nächtlich pulsierenden Tokio oder den farbigen Panoramaaufnahmen von einsamen Felslandschaften am Meer vorbeischlendert, erkennt bald, dass moderne und traditionelle Ansätze quer durch beide Kunstrichtungen verlaufen. Ja, Kunstrichtungen. Denn in Japan wird nicht zwischen Kunstgewerbe und Kunst unterschieden. Alltägliches wie Teegeschirr ist dort in die rituelle und noch sehr lebendige Kunst der Teezeremonie eingebunden. Was bei den Teeschalen und Sakeflaschen von Seimei Tsuji auffällt, ist die Zeitlosigkeit ihrer Formen. Die „Vase mit dem Zufall überlassener Naturglasur“ könnte vor 1000 Jahren entstanden sein – ein bisschen schief getöpfert, der Rand eiert. Im krassen Gegensatz dazu stehen Harumi Nakashimas Plastiken „Hart kämpfende Form“, die nicht mal ansatzweise an Gebrauchskeramik erinnern. Die wuchernden kugelförmigen Gebilde muten an der Oberfläche mit fröhlich blauen Tupfern naiv-kindlich an, offenbaren aber beim näheren Hinsehen ein bedrohliches Innenleben voller spitzer Kegel.

Grenzüberschreitend arbeitet auch der 1968 geborene Hiroyuki Masuyama. Ein Jahr lang hat er täglich an einem unspektakulären Weg ein Foto aufgenommen und ist dabei jedes Mal einen Meter vorgerückt. In der Videoinstallation „Weg“ hat er die einzelnen Bilder als Endlosschleife aneinander geschnitten. Herausgekommen ist ein eigentümliches Stakkato durch die Jahreszeiten, eine beeindruckende Meditation über unaufhörlichen Wandel.

Was verbindet diese 35 so unterschiedlichen Künstler noch? Die 1959 in Tokio geborene Fotografin Asako Narahashi ist für ihre Serie „Half awake and half asleep in the water“ ins Meer gegangen. Die Kamera hält sie halb über, halb unter der Wasseroberfläche, sodass die Blautöne von Himmel und Meer verschwimmen und an Träume von einer alles verschlingenden Flutwelle erinnern. Einmal ist ein Hochhaus im Hintergrund zu sehen. Das könnte jetzt plakativ für „die Moderne“ stehen, doch der Wolkenkratzer hebt sich gar nicht demonstrativ von der Naturszenerie ab, sondern scheint geradezu aus dem Wasser zu wachsen und schimmert genauso bläulich.

Vielleicht ist es genau das, was die japanische Kultur für uns so fremd und anziehend macht: dass sie keinen Gegensatz zwischen Natur und Kultur kennt, keinen zwischen Tradition und Moderne, keinen zwischen Kunst und Kunstgewerbe. Das Einzige, was einem nach dem Besuch dieser erhellenden Ausstellung fehlt, ist eine Tasse Tee.

Di–So 11–18 Uhr, Deichtorhallen; bis 4. Mai