Das vergangene Glück der Vulkanesen

Sieben Jahre nach der Werft-Pleite sind im Bremer Norden wieder 1.100 Jobs entstanden. Immerhin. Aber kein Vergleich mit dem Konzern von einst, der dicke Pötte für alle Weltmeere zusammenschweißte. Der Stolz der Arbeiter ist futsch, aber die Hoffnung lebt wieder Eine Reportage von Kai Schöneberg und Kathrin Doepner (Fotos)

Hier an der alten Pforte, heute ein Kiosk, beginnt eine der ganz großen Wunden der kleinen Stadt an der Weser

Wir haben gehofft, gehofft, gehofft – wie die Krebskranken.“ An den Februar 1996 kann sich Hans-Dieter Viohl noch genau erinnern – und an die Eiseskälte. An die Kälte draußen, die langsam in Viohls Sommerschlappen kroch. Und an die große Kälte drinnen, mitten in den Herzen der Vulkanesen, die auf dem Domshof ihre Fahnen zeigten, als es plötzlich hieß: Der Vulkan ist pleite. Viohl war in seinen Schlappen aus dem Büro zur Demonstration gehetzt, frierend und voller Angst um seine Zukunft: „Da war ich 53, innerlich ist da langsam Stillstand.“

Heute, an diesem Märzmorgen 2003, ist es wieder verdammt kalt. Doch Viohl, inzwischen 59, rundlich, rührig und von riesenhaftem Gemüt, strahlt wieder Wärme aus. Beworben hatte sich der Vulkan-Einkäufer damals, schließlich eine Stelle in Kiel ergattert – und doch zu seiner Frau gesagt: „Nein, Bärbel, das mach’ ich nicht.“

Er hatte Glück. Eine Woche, nachdem Viohl den Job abgelehnt hatte, kam der Anruf, der ihn zum Betriebsleiter des Stahl- und Aluminiumbauers BVT befördern sollte. Heute hat er immerhin 60 Mitarbeiter – und arbeitet immer noch auf dem Vulkan-Gelände. Sogar in den alten Vulkan-Hallen. 20.000 Quadratmeter hat die BVT, die Tochter einer Bremerhavener Firma, gemietet.

Eine kleine Erfolgsstory im von Erfolg nicht gerade gesegneten Bremer Norden. Sieben Jahre nach der großen Pleite haben sich auf dem 50 Hektar großen Vulkan-Areal 59 Firmen mit über 1.100 Mitarbeitern angesiedelt, davon rund 350 Ex-Vulkanesen. Damals waren vom Konkurs in Bremen 4.360 Arbeiter betroffen. Aber: Immerhin.

Eins ist klar: Hier an der alten Pforte, heute ein Kiosk, hier am alten Betriebsratsgebäude, in dem heute der Verein „Wir Vulkanesen“ sitzt, hier an der Werksuhr und an dem rostigen Schild mit der Aufschrift „Mehr Sicherheit durch Ordnung und Sauberkeit“, hier am ehemaligen Vulkan-Eingang beginnt eine der ganz großen Wunden der kleinen Stadt an der Weser.

Die Wunde ist inzwischen leicht vernarbt. Metall-, Maschinen und Anlagenbauer haben sich auf den Trümmern des Vulkan angesiedelt. Kaum eine Fläche ist noch zu haben. Sogar der marode Bunker, ein fast zehn Meter hoher Betonblock ist vermietet: Bands proben hier.

Und noch eins ist klar. Niemand, fast niemand, spricht heute noch von den Firmen auf dem Vulkan-Gelände. Kein Vergleich mit dem stolzen Konzern von einst mit Filialen zwischen Wilhelmshaven und Wismar, der dicke Pötte für alle Weltmeere zusammenschweißte. Insgesamt 700 waren es, vom Kreuzfahrer „Europa“ bis zum Frachter „1.111“, dem letzten Schiff. Aber: Immerhin.

“Wir haben in Deutschland gesucht, in Bremen sind wir stehen geblieben“, sagt Beenhard Oldigs von SSC, einer Firma aus Ostfriesland, die auf dem Vulkan vor allem Stahltürme für Windkraftanlagen baut. Die Bremer seien halt „besonders zuvorkommend“ gewesen, als SSC einen neuen Standort suchte, erklärt Oldigs. Aber natürlich sei auch die Lage an der Weser entscheidend gewesen. SSC beschäftigt heute 120 Leute in Bremen, sogar der 40 Meter hohe Vulkan-Kran am Kai wird noch für das Verladen der Türme benutzt.

Schon wird die Mär verbreitet, die Turmbauer würden heute so viel Stahl verbrauchen wie damals Vulkan und AG Weser zusammen. „Nicht ganz“, meint Oldigs. Für die 150 bis zu 100 Meter hohen Stahlröhren, die pro Jahr die Vegesacker Hallen verlassen, gehen nur „nur“ 250 Tonnen Stahl drauf. Oldigs: „Etwa so viel wie beim Vulkan“.

Aber es ist nicht nur so, dass viele, viele neue Jobs und damit der Strukturwandel mit den Post-Vulkan-Firmen nicht wirklich geschafft sind. Noch was fehlt: Es ist das Glück der Vulkanesen.

Das merkt man auch an Theo Beer. Der steht drinnen in einer der fünf fussballfeldgroßen SSC-Hallen und raucht sich eine. Der drahtige Maschinenschlosser ist jetzt 58. Seit 1980 hatte Beer Schiffsmotoren auf der Werft repariert, und „dann sind wir zur Demo und auf einmal stand Hennemann da und wollte mitdemonstrieren. Wir haben ihn ausgepfiffen“, sagt Beer und zieht noch mal kräftig an der Kippe. „Mann, waren wir verbittert“. Aber selbst, als er von „der Panik“ und „der Angst“ damals spricht, betont Beer, dass „wir Vulkanesen in Bremen was galten.“ Es ist wohl was anderes, anstatt Ozeanriesen nun Windtürme zusammen zu basteln. Der Stolz ist futsch, aber einen Job hat er wieder.

Der Boss. Friedrich Hennemann, der SPD-Staatsrat, der vom Bremer Senat an die Spitze der Werft gehievt worden war, ist heute Rentner. Geschichte. Gut so, findet Beer: „Das Rumbrüllen und Schreien nützt ja nix.“ Sauer ist er heute nur noch auf den Rechtsanwalt, dem er und 700 weitere Vulkanesen damals je 36 Mark überwiesen haben, um doch noch irgendwie Geld aus der Konkursmasse rauszuholen. Beer: „Nicht mal ein Schreiben, dass wir nichts kriegen, haben wir bekommen.“

Nur vier Wochen war Beer nach der Pleite ohne Arbeit. Auch in seinem Alter bekam er noch die Arbeitsstelle bei SSC.

Stolz hin, Stolz her, Beer ist froh drum: Beim Vulkan musste er oft unter großem Zeitdruck schuften, bis zu 20 Stunden am Stück. Natürlich verdienen die Windkraft-Leute auch nicht mehr so viel wie damals. Beim Vulkan kam man locker auf 36 Mark die Stunde – heute ist es für viele ein Drittel weniger. Auch egal. Beer hat nicht mehr lange bis zur Rente. Er stutzt, nimmt einen letzten Zug und sagt: „Das Geld kann überhaupt nicht schlecht sein.“