Die Zukunft heißt Abriss

Eine Tagung der SPD-Fraktion befasste sich mit dem Umbau der Städte. Die Fachleute erwarten einen „epochalem Wandel“: Zum ersten Mal muss sich die Stadtpolitik ernsthaft mit schrumpfenden Einwohnerzahlen auseinandersetzen

Wir müssen nicht in Neubauten sondern in den Bestand investieren

taz ■ Glaubt man den Experten, dann ist Wohnungsnot ein Thema der Vergangenheit. Die Zukunft heißt Leerstand. Der kurz bevorstehende Abriss von 765 Hochhaus-Wohnungen in Bremen-Tenever wäre vor diesem Hintergrund einer der weitsichtigsten Akte der Bremer Baupolitik.

Auf Einladung der SPD-Bürgerschaftsfraktion debattierten in den vergangenen zwei Tagen sozialdemokratische Bauexperten aus nahezu allen Landesparlamenten über das Thema „Stadtmodernisierung und Wohnungsbau“. Bei der abschließenden Podiumsdiskussion warf Bernd Meyer, Ex-Bausenator in Bremen und inzwischen Direktor des Verbands der Wohnungswirtschaft in Niedersachsen und Bremen der Politik vor, die demographische Bevölkerungsentwicklung in vielen Bereichen verschlafen zu haben. Heute schon hätten darunter die sozialen Sicherungssysteme zu leiden, in naher Zukunft würden die Städte darunter leiden. „Wir haben zwar genug Wohnungen im Bestand, aber es sind oft die falschen“, so der Ex-Senator. „Die klassische vierköpfige Familie macht nicht mal mehr zehn Prozent der Nachfrage aus, über 70 Prozent kommen von den Ein- bis Zwei-Personen-Haushalten“. Die künftigen Schwerpunkte der Wohnungswirtschaft hießen daher Modernisierung, Umbau und Wohnumfeldverbesserung. Diese Aufgaben aber müssten Hand in Hand mit der Politik angegangen werden. Der Abriss ganzer Siedlungsteile, wie er in der Hochhaussiedlung Tenever aufgrund mangelnder Nachfrage nötig geworden ist, sei eine Angelegenheit, die finanziell nicht von der Privatwirtschaft alleine zu leisten sei. Meyer plädierte vor diesem Hintergrund eindringlich für den Erhalt der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Immerhin ist es auch in Tenever die mehrheitlich in öffentlicher Hand befindliche Gewoba, die die maroden Hochhäuser aufgekauft hat, um sie nun teils zu sanieren, teils der der Abrissbirne zu überlassen.

Professor Volker Eichener, der Leiter des Bochumer Instituts für Wohnungsforschung (siehe Interview) ging noch einen Schritt weiter: Eine nachhaltige Städtebaupolitik müsse sich weniger um die „hardware“ als um die „software“ der Stadt kümmern. Eine Gesellschaft, in der die Alten und die Armen immer mehr würden, bräuchte vor allem eines: Betreuung.

Sein Plädoyer, vor dem Hintergrund schrumpfender Städte ganze Quartiere abzureißen um andere zu stärken, rief indes den Widerspruch des Staatssekretärs im Bundesbauministerium Achim Großmann hervor. „In Deutschland und Frankreich schrumpft die Bevölkerung vielleicht, aber die Weltbevölkerung explodiert“, gab er zu bedenken. „Wir müssen den Schalter zwar umlegen und auf den Bestand, statt auf Neubau setzen, aber wir müssen die Hand am Schalter behalten“, warb er für ein möglichst flexibles wohnungspolitisches Instrumetarium, das auch neuen Herausforderungen wie der Einwanderung gewachsen sein müsse. Mit den neuen Programmen „Soziale Stadt“ und „Stadtumbau West“ – von beiden profitiert die Quartierssanierung in Tenever – wolle die Bundesregierung genau das: Ressortgrenzen überwinden und den Kommunen ein flexibles, auf die örtlichen Gegebenheiten zugeschnittenes Mittel an die Hand geben. Auch Großmann warnte davor, die städtischen Wohnungsgesellschaften „nur als Vermögenswerte“ anzusehen, die man einfach veräußern könne.

Für Bremen fühlten sich Bausenatorin Christine Wischer (SPD) und auch Carsten Sieling, der baupolitische Sprecher der SPD und Gastgeber der Tagung, wohnungspolitisch in guten Schuhen: „Insbesondere durch unser WIN-Programm – Wohnen in Nachbarschaften – machen wir genau das, was in Zukunft überall ins Zentrum rücken wird: Quartierpflege im sozialen, kulturellen und baulichen Sinn“, so Sieling. Und mit dem neuen Programm „Vitale Quartiere“ sei man ebenfalls auf dem richtigen Weg. Wie Bremen mit den Leerständen umgehen wird, und ob dies, wie von der Oppostiton befürchtet, in 20 oder 30 Jahren auch die Einfamiliensiedlungen am Stadtrand treffen wird, wird indes die Zukunft zeigen.

Elke Heyduck