Gott im Schatten des Krieges

Mit 150.000 Teilnehmern rechnen die Organisatoren des Ökumenischen Kirchentags Ende Mai, Anfang Juni in der Hauptstadt. Und schon jetzt zeichnet sich ab: Das Thema Krieg wird überall sein

von PHILIPP GESSLER

Man kann versuchen, das Ereignis in Zahlen zu fassen: Mehr als 150.000 Menschen – rund 50.000 mehr als ursprünglich geplant – werden vom 28. Mai bis 1. Juni als Dauerteilnehmer zum ersten Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) in die Stadt kommen. Rund 55.000 Engagierte beteiligen sich als Helferinnen und Helfer ehrenamtlich. Etwa 1.100 Gruppen und Initiativen werden sich während des großen Treffens der christlichen Laien, also Nichtpriester, im Rahmen des Kirchentags vorstellen. Während der fünf Tage unter dem Motto „Ihr sollt ein Segen sein“ können etwa 3.200 Veranstaltungen an 600 verschiedenen Orten besucht werden.

Man kann das „historische Ereignis“, so der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Stefan Vesper, auch über die Namen beschreiben, die bei der gestrigen Vorstellung des ÖKT-Programms fielen: Neben den religiösen Größen wie etwa dem Tübinger Theologen Hans Küng und dem Dalai Lama kommt die Crème de la crème der deutschen Politik – u. a. Bundespräsident Rau, Kanzler Schröder, Außenminister Fischer, Innenminister Schily und CDU-Bundesvorsitzende Merkel. Ein geplantes Treffen zwischen Schröder und dem britischen Premier Tony Blair musste abgesagt werden: wegen Terminproblemen des Briten, wie es von Seiten des ÖKT hieß.

Diese Absage führt zum mehr oder weniger geheimen Hauptthema des Kirchentags: dem Krieg im Irak. Bei der jahrelangen gemeinsamen Planung des ÖKT durch die katholischen und evangelischen Laien stand der Wunsch im Vordergrund, die Einheit der Christinnen und Christen im Lande der Reformation zu fördern – als äußeres Zeichen war ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten geplant oder erhofft.

Als dieses Ziel vor allem wegen des Gegenwinds aus Rom aufgegeben wurde, drohte dieses Abendmahl-Scheitern zum bestimmenden Thema zu werden. Seit Kriegsbeginn am Golf und angesichts eines offenbar langen Waffengangs aber stellte Vespers evangelisches Pendant, Friederike Woldt, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT), fest: „Ich muss hier keine Prophetin sein, um zu prognostizieren, dass sich die politischen Diskussionen des Ökumenischen Kirchentags im Schatten des Irakkrieges bewegen werden.“ Die Organisatoren wollen der Friedenssehnsucht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sichtbaren Ausdruck verleihen – wahrscheinlich durch einen Schal, auf dem der berühmte Spruch der Bergpredigt „Selig sind die Friedenstiftenden“ stehen wird.

Wer dem christlichen Großereignis eher mit Grauen gegenübersteht, den mag schließlich ein Versprechen der ÖKT-Planer beruhigen: Der Kirchentag sei zwar nicht als „ein Ereignis nur für kirchliche Insider geplant“, betonte Friederike Woldt– vielmehr stehe er allen offen. Eine Missionierung der Nichtgläubigen aber, sagen die Organisatoren, sei nicht vorgesehen. Vielleicht reicht ja vielen schon, dass die Band „Fury in the Slaughterhouse“ spielt. Ganz ohne Gebet.