Ist Protestieren blöd?

betr.: „Total toller Frieden“, Schlagloch von Viola Roggenkamp, „Hallo, Ihr Protestierenden“, „Schülerdemos waren vorbereitet“, taz vom 26. 3. 03

In einigen Punkten haben Sie Recht: auch mir ist sehr unwohl, wenn ich zur Anitkriegsdemo gehe, und all die Menschen um mich herum sehe, die sich jahrelang nicht für die Menschenrechte im Irak interessierten, nicht einmal wussten, wo der Irak auf der Landkarte liegt, und die nun so lautstark gegen den Krieg im Irak protestieren. Da würde ich mir mehr Klarheit wünschen, mehr Differenziertheit und vor allem mehr Engagement auch außerhalb der Kriegszeiten.

Es ist aber eine Sache, dies zu konstatieren, und etwas anderes, SchülerInnen pauschal zu unterstellen, sie gingen eigentlich nicht gegen den Krieg demonstrieren, sondern wollten die Schule schwänzen. Ich bin als Islamwissenschaftlerin, Arabistin und Judaistin in den letzten Wochen einige Male zu Vorträgen eingeladen worden, unter anderem auch von einer Schule in Köln. Dort stellte ich (überrascht) fest, dass die Jugendlichen sich sehr differenziert mit dem Geschehen im Nahen Osten auseinandergesetzt hatten. Diese Schüler schwänzten nicht, sondern organisierten in ihrer Freizeit Sonderveranstaltungen, die während der regulären Schulzeit in den Schulen stattfanden. […]

Unterschwellig ist Ihrem Beitrag auch die Enttäuschung darüber zu entnehmen, dass die Jugendlichen in Deutschland sich nicht mit der gleichen Verve zu Wort melden, wenn in Israel Menschen bei Selbstmordattentaten ermordet werden, und dass Sie sich mehr Solidarität mit Israel wünschen. Hier in Köln bei Friedensdemonstrationen war durchaus „Schalom“ zu sehen. Meiner Meinung nach wäre es auch gut, man würde das Wort „Schalom“ öfter sehen. Aber ich finde es völlig unangebracht, die Selbstmordattentate gegen Israelis und den Angriffskrieg gegen den Irak auf eine Stufe zu stellen. Diese flache Argumentation, ebenso wie Ihre extrem schlichte Sichtweise auf den Nahostkonflikt – Sie erklären in einem Halbsatz die Palästinenser zu den einzigen Schuldigen an der derzeitigen Eskalation – hat mich ziemlich enttäuscht. […] MARTINA SABRA, Köln

In ihrem Artikel vertritt Frau Roggenkamp die etwas zynisch anmutende Theorie, dass es ohne Israel keinen palästinensischen Staat geben könnte. Noch zynischer könnte man auch argumentieren, dass es ohne Deutschland heute keinen israelischen Staat gäbe. Sollten sich nun die Israelis und Palästinenser im Ernst jeweils bei denjenigen bedanken, die ihnen einen Grund zur Staatsgründung geliefert haben?

Die Autorin beklagt zudem das Versäumnis, wonach neben den Worten peace und salaam auf den Demonstrationsschildern das hebräische schalom fehle. „Volkes Stimme ist auch dort zu hören, wo sie lieber verschweigt“, schreibt sie dazu provokativ. Wobei auf Demos sowohl in Leipzig als auch in Hamburg durchaus zu hören war, wie Jugendliche in ihrer „aggressiven Selbstdokumentation“ (so Roggenkamp) schon mal das traditionelle hebräische Friedenslied „Schalom chawerim“ eher schlecht als recht intoniert haben. Warum aber eine Hebräischpflicht? Was will die Autorin damit wirklich sagen? Sicher will sie doch nicht andeuten, dass Israel tatsächlich in diesen Krieg verwickelt ist.

DAVID DICHELLE, Leipzig

Da schreiben Sie: „Man will, dass der Bundeskanzler den USA untersagt, durch die deutsche Luft zu fliegen, man will Deutschland als Mitglied der Nato vertragsbrüchig sehen, der Kanzler soll es den USA endlich mal zeigen.“

Ich muss sagen, ich finde Ihre Vorstellungen von Sinn und Inhalt des Nato-Vertrags recht eigenartig. Der Bundeskanzler ist sicher nicht der Besitzer der „deutschen Luft“, aber es ist nicht schlecht für ihn, dass er ganz mit dem Problem umgeht, den Vorwurf der Unterstützung eines Angriffskriegs zu vermeiden. Ich erinnere mich, von Ihnen früher besser Durchdachtes gelesen zu haben. Nun ja, jeder hat einmal einen schlechten Tag, und die taz ist im besten liberalen Stil für Meinung und Gegenmeinung offen.

PETER PLAUMANN, Wilhelmsdorf

Was? Niemand will Krieg? Und warum wird er dann so vorbereitet? Wozu gibt es die Rüstungsindustrie? Und was ist mit der corporate identity?

Peace takes brains tragen die Amis auf ihren Schildern, und das mag naiv sein, aber doch weniger naiv, als durch Krieg Frieden kriegen zu wollen. Was manche Kommentatoren in nur einer taz-Ausgabe Besseres wissen, macht mich wundernd. „Die Strafe für den Feminismus durch Angela Merkel“ (Viola Roggenkamp) ist noch das Originellste, wenn auch in der Konsequenz wirklich peinlich, leider nicht nur für die CDU. Dass all die anderen innenpolitischen Themen wie Arbeitslosigkeit, grün-rote Zustimmung zur Massenverarmung und Pisa-Blödheit insbesondere im Parlament nun hinter dem Krieg verschwinden, will man doch wohl nicht auch noch der Friedensbewegung vorhalten.

Wie weltfremd manche Schreibende sind, demonstriert die Entlarvung, dass die Schülerdemos durch Jungkader vorbereitet worden sind. Noch ein Geheimnis, the world says no to war, haben auch die Kader weltweit – und dann noch so – massenhaft organisiert. Na so was! HALINA BENDKOWSKI, Berlin

Es ist schön, dass Herr Lennart Laberenz uns mit seinem Artikel „Schülerdemos waren vorbereitet“ beglückte. Frage ist nur, welche Ziele er mit seiner pseudointellektuellen Analyse der SchülerInnenproteste erreichen möchte? Wem spielt er zu, mit seiner kränkenden Darstellung einer von links agitierten und von Schulabbrechern geführten Schülerschaft? Wem nutzt die Offenlegung der Strategie dieser Demos, die gefallen, weil sie gut organisiert und lebendig sind?

[…] Man muss nicht studiert haben, um zu wissen, dass Widerstand Struktur und Strategien braucht. Ich danke den vielen jungen Menschen, die mutig Position beziehen, und denen, die dem zarten Pflänzchen Demokratie einen Garten bereiten, gleichermaßen. EVA MOLA

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.