amerika im krieg (8)
: Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

Eine Geisterstadt in Mississippi

Zwei Flug- und dann noch drei Autostunden von Washington entfernt liegt im tiefen Süden die kleine Stadt Vicksburg. Auf der Straße Richtung Westen, vorbei an Magnolien und rotem, verfallenem Backstein, verschwindet plötzlich die Landschaft am Horizont, als ob dort die Welt zu Ende ist. Einige Meilen weiter steht man dann auf einem hohen Kliff, zu dessen Füßen sich der breite, träge fließende Mississippi durch die Ebene windet.

Die steinerne Hülle der Stadt zeugt vom alten Glanz aus der Zeit des Baumwollbooms im 19. Jahrhunderts und den Schlachten des Bürgerkrieges. Heute lebt man von schwimmenden Casinos und der Erinnerung. Doch selbst dieses Geschäft läuft schlecht wie selten zuvor. „Seit der Krieg begann, habe ich kaum etwas verkauft“, erzählt Suzanna Hitchens. Sie betreibt seit drei Jahren einen Antiquitätenladen, der fast an der Felskante steht. Auch die Monate zuvor sei es mit dem Tourismus nur noch bergab gegangen. „Doch seit einer Woche ist Vicksburg eine Geisterstadt. Die Einwohner sitzen nur noch vor dem Fernseher, und Reisende verirren sich kaum noch hierher.“

Im Biscuit Company Cafe, einem der wenigen offenen Restaurants, sitzt ein älteres Ehepaar völlig allein auf der überdachten Veranda mit Blick auf den braunen Fluss, verrottete Eisenbahngleise und einen alten Bahnhof. Die Fernseher über der Bar zeigen Basketball und Irakkrieg. Die beiden kommen aus Ohio und sind seit 50 Jahren verheiratet. Daher haben sie sich eine Reise nach Florida gegönnt. Nun sind sie auf dem Heimweg. Vorher haben sie einen Zwischenstopp in New Orleans eingelegt. „Dort wurde nur gefeiert, und niemand sprach vom Krieg“, sagt sie betroffen. Auf der Fahrt nach Vicksburg verfolgten sie im Autoradio die Pressekonferenz von Bush und Blair. „Blair hat gut gesprochen. Bush hat ja nie etwas zu sagen.“ Dennoch hat Mary Koppel Herrn Bush gewählt.

Ihr Mann Ted ist anfangs etwas maulfaul und lässt sie reden. Sie erzählt von ihren demokratischen Freunden daheim in Ohio, mit denen sie sich fast überworfen hat, da sie so vehement den Krieg ablehnen. Dabei mag sie diesen Krieg auch nicht, ohne besonderen Grund. „Kriege sind einfach immer grausam.“ Beim Thema Fernsehen taut Ted plötzlich auf. Fast wird er etwas laut. Er schimpft auf die TV-Sender, in denen sich Polizeivideos, Gewalt- und Actionstreifen mit Kriegsfilmen und den Non-Stop-Irak-Berichten vermischen. „Da muss man doch jeden Sinn für die Realität verlieren und abstumpfen.“

Ted ist Zeitungsfan und Vollblutrepublikaner. „Big Government“ lehnt er ab und schüttelt verständnislos mit dem Kopf, dass ausgerechnet Bush die Regierung aufbläht. „Das neue Heimatschutz-Ministerium ist grober Unfug.“ Das Geld solle man lieber zur Armutsbekämpfung im eigenen Land verwenden, verblüfft ihn seine republikanische Gemahlin. Der Krieg gegen den Irak geht für Ted in Ordnung. Er hofft, dass die USA in Bagdad einen „soften“ Diktator installieren. Schließlich hätte sein Land immer schon gerne gemeinsame Sache mit Diktatoren gemacht, da solle man sich doch nichts vormachen. Sie würden Amerikas Interessen oft viel besser dienen als befreite Länder, die sich dann zu eigensinnigen Demokratien entwickelten. Saddam sei aber zu weit gegangen und bedrohe Amerika. Mary wirft ein, man hätte aber den Inspektoren mehr Zeit geben können. Doch Ted hat ihnen von Anbeginn misstraut. Sie seien doch gar nicht daran interessiert gewesen, rasche Ergebnisse vorzulegen. „Je länger sie suchen, desto länger haben sie einen Job. Ist doch klar.“

Mittlerweile liegt die Hauptstraße verwaist in der Dunkelheit. Kahle Ladenräume wechseln sich mit vernagelten Fenstern ab. Nur aus dem Geschäft mit der Aufschrift „Hillbilly News & Novelty“ dringt Licht. Im Angebot sind Tabak, Zeitschriften, Flaggen und, geschützt durch eine Pappwand, Sexspielzeug und Pornos. Hinter der Theke steht ein freundlicher Mann mit schwarzer Lederweste. Der Krieg habe das Leben verändert, sagt er nüchtern. „Die Menschen sind angespannt. Auch hier kann man es überall spüren.“ Ein uralter Bildschirm flimmert in der Ecke und bringt Nassirija nach Vicksburg. „Ich verstehe die Iraker. Das ist doch ganz natürlich, dass sie sich gegen uns zur Wehr setzen. Ich würde doch auch mein Gewehr aus dem Schrank holen, wenn hier jemand einmarschiert.“