„Nicht ohne große Verluste“

Der australische Militärforscher Desmond Ball über Szenarien für einen Häuserkampf in Bagdad und über die Fehleinschätzungen des Pentagon

taz: Herr Ball, sind die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten auf einen Häuserkampf in Bagdad vorbereitet?

Desmond Ball: Einheiten der US-Armee haben in den vergangenen Jahren den Häuserkampf trainiert. Sie verfügen über die erforderlichen Fähigkeiten und Ausrüstungen und haben auch die dazu gehörige Einsatzdoktrin entwickelt. Ein Kampf in Bagdad jedoch dürfte für die Soldaten eine enorme Herausforderung werden. Zwar gibt es einige Spezialeinheiten, die eine darauf zugeschnittene Ausbildung haben. Aber der Umfang dessen, was sie da erwartet, ist für die US-Truppen ohne Beispiel.

Was macht die Sache denn so schwierig?

Bagdad ist eine große Stadt, etwa so groß wie Berlin. Es wird Leute geben, die sich festsetzen und in ziemlich unkonventioneller Weise kämpfen, Autobomben und Ähnliches einsetzen werden. Es ist nicht zu erkennen, wie dies ohne sehr hohe Verluste ablaufen kann. Auf beiden Seiten: Zivilisten auf irakischer Seite, Soldaten auf amerikanischer Seite. Es kann auch sein, dass es gar nicht die entscheidende Schlacht wird.

Was meinen Sie damit?

Zum einen könnten einige irakische Truppen in den Norden des Landes entkommen: in die Berge und in die Gegend um Tikrit, der Heimatstadt Saddam Husseins. Dann geht der Häuserkampf von Neuem los. Zum anderen besteht auch nach einem Kampf in Bagdad die Gefahr weiterer Guerilla-Operationen. Besonders in der Region um Tikrit, aber auch in anderen Teilen des Landes. Es könnte lange Zeit weitergehen – egal was in Bagdad passiert.

Wird ihr großer technologischer Vorsprung den US-Streitkräften beim Häuserkampf einen Vorteil bieten?

Sagen wir so: Die Vorteile werden deutlich abnehmen. Die Aufklärung, die im Häuserkampf von Bedeutung wäre, ist die so genannte human intelligence – also die Aufklärung durch Agenten und vor Ort; diese steht im Gegensatz zur technologischen Aufklärung mit Hilfe von Dronen und Satelliten. In Bagdad werden es US-Spezialeinheiten sein, die sich mitten in der Stadt aufhalten und dort mit irakischen Überläufern und anderen Informanten zusammenarbeiten, um Ziele zu orten. Die Technogie hilft, aber sie ist in einer urbanen Umgebung weit weniger effektiv als außerhalb der Stadt.

Wie, glauben Sie, wird das Vorgehen der Pentagon-Planer aussehen? Werden sie die Stadt abriegeln oder in bebautes Gebiet vorrücken?

Das wird auch davon abhängen, welche Art der Verteidigung die Iraker aufbauen werden. Wenn sie eine Verteidigungslinie um die Stadt ziehen, könnten wir tatsächlich eine „Shock and Awe“-Strategie sehen, mit tatsächlich sehr intensivem Bombardement – etwa in der Art, wie es einige schon zu Beginn des Kriegs erwartet hatten. Sollten die Iraker aber nicht die Dummheit begehen und sich im offenen Gelände platzieren, werden die US-Streitkräfte wohl direkt in die Stadt gehen. Das Ergebnis wäre dann eine Angelegenheit, die sich sehr lange hinziehen kann.

Hat das US-Militär damit gerechnet, in solch eine Situation zu geraten?

Das Ausmaß an Widerstand der irakischen Truppen und auch das Ausmaß an Feindseligkeit der irakischen Bevölkerung insgesamt kommen für sie unerwartet. Die US-Militärs dachten, es gäbe praktisch eine Wiederholung der Situation von 1991. Sie hatten erwartet, dass die irakische Armee auseinander fällt und die Bevölkerung sie begeistert empfängt.

Der Krieg dauert schon zehn Tage. Die Pentagon-Führung behauptet dennoch, alles laufe nach Plan. Sie habe immer für einen längeren Krieg geplant. Wie glaubhaft ist das?

Sie hätten viel früher sehr viel mehr Truppen in das Kriegsgebiet gebracht, wären sie tatsächlich davon ausgegangen, dass es so aussehen würde, wie es jetzt ist. Die Weigerung der Regierung in Ankara, große Kontingente von US-Bodentruppen ins Land zu lassen, hat sie zwar auch behindert. Aber das ist nicht die einzige Erklärung. Sie haben schlicht nicht eingeplant, dass sie Bodentruppen in diesem Umfang benötigen würden.

INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ