Der Gegner spielt nicht mit

„Wir wussten, dass sie hier sein würden, aber nicht, wie sie kämpfen würden“, so der Kommandeur der US-Bodentruppen

von ERIC CHAUVISTRÉ

Ab heute werden die Tage seit Beginn der „Operation irakische Freiheit“ zweistellig gezählt. Der Krieg dauert länger. Ein Häuserkampf in Bagdad, mit vielen Toten auf beiden Seiten, wird immer wahrscheinlicher. Das politisch motivierte Gerede von einem leichten Blitzkrieg der Vorkriegszeit und der ersten Kriegswoche ist verstummt. Es sei „egal, wie lange es dauert“, heißt die neue Vorgabe des US-Präsidenten. „Es ist keine Frage des Zeitplans, es ist eine Frage des Sieges“, sagte Bush nach dem Treffen mit seinem engsten Verbündeten Tony Blair in Camp David, bei dem eigentlich schon für die Zeit nach dem glorreichen Sieg der US-amerikanischen und britischen Streitkräfte geplant werden sollte.

Während die obersten Kriegsherren auf dem Landsitz des Präsidenten Normalität vorspielten, scheint die Einschätzung am anderen Ende der Welt, irgendwo zwischen Basra und Bagdad, ein wenig anders zu sein. „Der Feind, den wir bekämpfen, ist anders als der in unseren Kriegsspielen“, sagte General William Wallace, Kommandeur der US-Bodentruppen im Irak einem in die Einheit integrierten US-Journalisten. „Wir wussten, dass sie hier sein würden, aber wir wussten nicht, wie sie kämpfen würden.“

Es sehe aus, als würden die Aussichten auf einen länger als erwarteten Krieg steigen, gestand Wallace laut einem Bericht der Washington Post zögerlich ein. Die Bilanz einer katastrophalen Fehleinschätzung aus dem Mund eines der ranghöchsten Militärs der Invasion. Vieles lief schief auf dem Weg. Völlig unerwartet verweigerte die türkische Regierung dem US-Militär den Aufmarsch mit einem massiven Bodenheer. Im Verlauf der ersten Kriegswoche musste der ursprünglich geplante nahezu gleichzeitige Einmarsch über den Nordirak in Richtung Bagdad schließlich aufgegeben werden. Auch das Wetter spielte nicht mit. Ein Sandsturm rund um Bagdad, angeblich so stark wie seit Jahren nicht mehr, behinderte den Vormarsch. Vor allem aber hatte die Pentagonführung ganz darauf gesetzt, dass das irakische Militär bereits nach Tagen auseinander fallen würde. Schon Wochen bevor die ersten Bomben auf Bagdad fielen, flüsterten Militärs Journalisten ein, der Krieg würde mit einem Angriff von bislang kaum gekannten Ausmaß beginnen. Und nur einige Tage vor dem Angriff auf den Irak ließ das Pentagon eine eigens entwickelte Bombe testen. Die Nachricht und die Bilder von der Explosion allein, so hofften die Strategen, sollten zumindest die reguläre irakische Armee so einschüchtern, dass deren Soldaten kurz nach dem Angriff in Massen desertieren würden.

Wenn jetzt, wie angekündigt, die US-Streitmacht im Irak auf mehr als 220.000 Soldaten aufgestockt und damit mehr als verdoppelt wird, ist das wohl auch eine Niederlage für Donald Rumsfeld und seinen Stellvertreter Paul Wolfowitz. Die politische Führung hatte stets auf eine Invasion mit relativ kleinen Truppen gesetzt. Angesichts der internationalen Opposition wollten sie zudem nicht länger, als unbedingt erforderlich, mit dem Angriff warten Die Militärs waren dagegen eher für einen massiven Aufmarsch eingetreten. Doch auch sie haben die Verhältnisse im Irak falsch eingeschätzt, den Rumsfeld-Plan schließlich weitgehend akzeptiert.

Dass die USA einen Krieg nur mit massiver Überlegenheit beginnen sollten, war seit dem zweiten Golfkrieg 1991 eigentlich unumstößliche Doktrin in Washington. Rumsfeld wollte wohl auch beweisen, dass die nach dem jetzigen Außenminister und ehemaligen US-Generalstabschef benannte Powell-Doktrin keine Gültigkeit mehr haben muss. Denn schließlich sind auch weitere Merkmale der Powell-Doktrin bei dem derzeitigen Vorgehen nicht zu erkennen.

Dazu gehört nicht nur ein klar definiertes Kriegsziel, sondern auch das, was derzeit am wenigsten erkennbar ist: eine „exit strategy“ für den Fall, dass der Kriegsplan nicht aufgeht. Auf die Frage eines US-Senators, ob denn auch ein Waffenstillstand eine Option für Washington wäre, reagierte Rumsfeld nur mit Unverständnis und einem klaren Nein. Der Krieg muss gewonnen werden, egal wie lange er dauert und wie viele Opfer er kostet.