„Ali ist ein Guter“

Der Tod der 33-jährigen Aysin T. zeigt, dass es der Polizei an Kompetenz und Sensibilität fehlt. Trotz Gewaltschutzgesetz kann Frauen bei Beziehungsgewalt kein effektiver Schutz geboten werden

VON KAI VON APPEN

Das Verfahren gegen den Stalker Ali U., den das Landgericht wegen Totschlags zu zwölf Jahren Haft verurteilt hat, geht weiter. Es ist davon auszugehen, dass sowohl Verteidigerin Maike Otte als auch Nebenklagevertreterin Gabriele Heinecke, die auf Mord plädiert hatte, in Revision gehen werden. Der 37-jährige Kiez-Türsteher hatte am 26. März seine 33-jährige Ex-Freundin Aysin T. mit fünf Schüssen regelrecht hingerichtet – das Ende eines Stalking-Martyriums.

Der Komplex hat zugleich einen erschreckenden Aspekt ans Tageslicht gebracht: Nämlich, dass es der Polizei an Kompetenz und Sensibilität mangelt – trotz der Instrumentarien des Gewaltschutzgesetzes – bedrohten Frauen die notwendige Betreuung und einen effektiven Schutz zukommen zu lassen. So war nach den ersten Stalking-Attacken von Ali U. im vorigen November, bei denen er Aysin T. mit Morddrohungen überhäufte (taz berichtete), nach ihrer Anzeige die Sachbearbeitung ausgerechnetder Zentralen Dienststelle für Organisierte Kriminalität (ZD 64) übergeben worden, die auch für das Türsteher-Milieu zuständig ist: Begründung: Ali U. sei Türsteher im Rotlicht-Milieu und daher den Beamten bekannt.

Doch Sachbearbeiter Stefan S. zeigte sich mehr von „dem niedergeschlagenen Eindruck“ des Ali U. berührt, der den liebevollen Vater mimte, dem die böse „Ex“ das Besuchsrecht für den Sohn nehmen wollte, als von den Todesängsten der 33-jährigen in Deutschland geborenen Türkin. Diese hatte sich nach neun Jahren von Ali U. getrennt, da sie sich den patriarchischen Diktaten (Bekleidungsvorgaben, persönlichen Einschränkungen, Berufsbetätigungsverbot) nicht mehr unterwerfen wollte. Ali U. ginge es nur darum, seinen Sohn zu sehen, befanden die Beamten.

Neben der Familie T. ist selbst der Lehrerin von Doganay dieses Polizei-Verhalten als „merkwürdig“ aufgefallen. „Man fragte sich, wer ist eigentlich Täter und wer ist Opfer“, sagte die Pädagogin vor Gericht. Dieses polizeiliche Agieren führte auch dazu, dass Aysin, die zeitweilig in Niedersachsen untergetaucht war – jedoch nie dem Vater generell das Besuchsrecht verwehren wollte – nach Telefonaten mit der Polizei zurückkehrte und den Strafantrag wegen Körperverletzung zurücknahm.

Darüber war indes selbst der Schulpolizist „Cop4U“ verwundert, der die Sicherheit von Doganay in der Schule sicherstellen sollte. In einem Gespräch mit U. fielen dem Beamten Ungereimtheiten und innerliche Aggressivität auf. U. gestand ihm, dass er sich in „Stolz und Ehre verletzt“, sich von der Ex-Freundin „gedemütigt“ fühlte. Er habe aber kein Interesse mehr an der Frau, sondern nur noch an seinem Sohn, hatte U. geäußert. „Das, was er gesagt hat, und wie er dabei aussah – er stand unter Spannung – das passte nicht zusammen“, so der Cop4U vor Gericht.

Zumal U. einräumte, dass man ihn im Milieu gehänselt habe, er sei ein „Waschlappen, der seine Alte nicht in Griff hat“. Als der Cop4U den Sachbearbeiter S. über das Gespräch informierte, habe er zur Antwort bekommen: „Ali ist ein Guter. Der ist doch zahm, der will doch nur seinen Sohn sehen.“ Ihm seien daraufhin Zweifel gekommen, ob seine Wahrnehmung richtig war und habe deshalb keinen ausführlichen Bericht mehr verfasst, sagte der Cop4U. „Ich bin ja nur ein kleiner Schulpolizist.“

Auch als Ali U. Aysin T. am 6. Februar vor der Wohnung auflauerte, sie im Beisein des Sohnes misshandelte, an den Haaren durch die Wohnung zog und ihr ein Messer an die Kehle hielt – „damit Du schon mal weißt, wie es ist, wenn ich dich umbringe“ – glaubte die Polizei mehr der Version von Ali U. Der hatte zwar den Streit eingeräumt, jedoch Aysin T. bezichtigt, ihn zuerst mit dem Messer angegriffen zu haben. „Er war psychisch labil und weinerlich, zeigte sich einsichtig und kooperativ“, sagte „ZD 64“-Fahnder S. „Es schien, als würde seine Aussage alles relativieren“, sagte ein Polizist. Selbst das Gericht staunte: „Warum haben sie nicht das Kind als Augenzeugen vernommen“, fragte Richter Wolfgang Backen. „Dazu sahen wir keinen Anlass.“ Stattdessen ist auf Aysin T. in Folgezeit eingewirkt worden, sich „deeskalierend zu verhalten“. Polizist S.: „Das schien uns der richtige Weg.“ Doch es war der Falsche. „Wir haben uns völlig falsch orientiert“, gestand später vor Gericht ein „ZD 64“-Fahnder.

„Der Fall hätte niemals dieser Abteilung übergeben werden dürfen“, kritisiert die Familien- und Frauenhaus-Anwältin Mechthild Garweg. „Die haben überhaupt nicht die Qualifikation, sondern sehen alles aus dem Blickwinkel des Milieus, aus dem der Mann kommt.“ So sieht es auch ein Polizeiexperte, der früher beim „ZD 64“ gearbeitet hat. „Das ist eine Hauruck-Truppe“, sagt der Insider. Die könnten zwar – bildlich gesprochen – „einen brutalen Türsteher wegschießen, aber haben nicht die Sensibilität, mit solchen Konflikten umzugehen“. So sei verkannt worden, „dass der Typ immer wieder den Sohn benutzt hat, um an die Frau ranzukommen“, sagt Garweg.

Garweg hält es für dringend geboten, spezielle Abteilungen bei der Polizei einzurichten, „die mit solchen Fällen familiärer Gewalt und interkulturellem Hintergrund“ befasst sind und in Kooperation mit dem Jugendamt vorgehen: Einerseits das Wohl des Kindes berücksichtigen, das den Vater braucht, sagt Garweg, „anderseits den Typ zurückdrängen, dass die Frau nicht in Gefahr gerät, wenn sie ihre mütterliche Erziehungsrolle vorbildlich erfüllt“.