berliner szenen Knuts neuer Pfleger

Aufklärung statt Trauma

„Wir wollen Knut besuchen. Kommst du mit?“, fragt mich mein Neffe am Telefon. Er ist fünf und ruft manchmal einfach so an. Es ist ein goldener Herbsttag draußen. Die letzten Blätter verlassen den Baum vor meinem Fenster, und die Hasenschänke macht nur noch an den Wochenenden auf. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Herbst schon bald in einen Winter übergeht.

Ich treffe meinen Bruder und meinen Neffen eine Stunde später am Marheineke Platz in einem Café vor der Markthalle. Die beiden sind gerade gegen Tollwut geimpft worden und sitzen jetzt genüsslich in der Sonne. „Ich würde Knut gerne noch mal sehen“, sagt mein Bruder und hat Tränen in den Augen. Ich weiß warum, aber ich darf vor meinem Neffen nicht über Thomas Dörflein sprechen. Er wollte seinem Sohn ein Trauma ersparen, hat er mir erzählt.

Gegen vier Uhr nachmittags erreichen wir den Zoo. Mein Bruder kommt nachdenklich von der Kasse zurück. „Wenn wir noch eine halbe Stunde warten“, sagt er, „dann ist Happy Hour. Man kommt für 8,40 Euro statt für 12 Euro rein, noch für eine ganze Stunde.“ Mein Neffe verdreht die Augen. Mein Bruder seufzt: „20 Euro für nur eine Stunde? Das ist zu viel.“ Mein Neffe nickt. Wir gehen zum Schleusenkrug und investieren die 20 Euro in die letzten Strahlen der Herbstsonne. Dazu trinken wir Hefeweizen und Apfelschorle.

„Gespannt war ich ja schon“, sagt mein Neffe, „auf den neuen Pfleger von Knut. „Weil Thomas ist doch gestorben.“ Mein Bruder blickt seinen Sohn entsetzt an. „Von mir weiß er das nicht“, flüstert mir mein Bruder vorwurfsvoll zu. „Woher weißt du das denn?“, frage ich. „Aus der Zeitung natürlich“, sagt mein Neffe.

MAREIKE BARMEYER