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Archiv-Artikel

Diese Gier, die blind macht

Seit Ende Februar verhandelt das Landgericht Hamburg über das Ehepaar Harksen. Der Prozess zeichnet ein Bild der High Society, in der jeder um den Reichtum des anderen weiß und man sich damit trotzdem noch gegenseitig beeindrucken kann

„Ich habe gedacht, das können doch nicht alles nur Statisten sein.“ Die Anleger sollten auch „ein schönes Stück vom Kuchen abbekommen“.

von ELKE SPANNER

Längst hat sich die Sitzordnung im Gerichtssaal verkehrt. In den ersten Reihen, die eigentlich der Presse vorbehalten sind, haben Männer und Frauen Platz genommen, die einmal Millionäre im Moment der Lächerlichkeit erleben wollen. Sie kommen auf ihre Kosten. Im Zeugenstand sitzen erfahrene Geschäftsmänner, die sich zu unbeherrschbarer Gier bekennen müssen. Die einräumen, trotz ihres unternehmerischen Know-hows, trotz ihres imponierenden Fachjargons und der gut sitzenden Maßanzüge schlicht für dumm verkauft worden zu sein.

Vor diesen Männern braucht man keine Ehrfurcht mehr zu haben, zumindest nicht im Moment. „Wie will man denn für 400.000 Mark Einlage 4,2 Millionen Mark steuerfrei zurückbekommen?“ belustigt sich für alle hörbar eine Mittfünfzigerin im bunten Streifenpullunder, und ihr Gatte grinst. Für kurze Zeit haben sie an der High Society teil, sei es auch nur als Zuschauer im Prozess, und das tut gut. Sitzen jetzt nicht dort die Verlierer und man selber auf der Gewinnerseite, wo man entspannt den Luxus genießen darf, Berichte über anderer Leute Misserfolge anzuhören?

Drei Fälle sind angeklagt, in denen Jürgen Harksen, „Mister Money“ genannt, Anfang der neunziger Jahre Anleger mit falschen Versprechungen um 35 Millionen Mark betrogen hatte. Sie könnten sich an seinem „Investment“ von angeblich einer Milliarde Mark bei Öl-Spekulationsgeschäften in Norwegen beteiligen, bot er an und versprach Renditen bis zu 1300 Prozent. Wenn die Anleger Nachweise forderten, legte Harksen Gutachten von Wirtschaftsprüfern über sein angebliches Vermögen vor. 1,184 Milliarden Mark bescheinigte ihm Dirk H., er ist mitangeklagt. „Wenn ich aufzählen sollte, wie viele Rechtsanwälte involviert waren, wäre der Saal hier voll“, berichtete ein Zeuge vor dem Landgericht am Kapstadtring, das seit Ende Februar über den Fall verhandelt. „Ich habe gedacht, das können nicht alles nur Statisten sein.“ Harksen hat inzwischen ein Geständnis abgelegt. Das angebliche Investment, hat er eingeräumt, gab es nie.

Je länger der Prozess andauert, desto mehr wandelt sich das Bild dessen, was sich Anfang der neunziger Jahre zwischen Hamburgs Neureichen und Prominenten abgespielt hat. Der Fall Harksen ist nicht mehr nur das Ganovenstück, als das es zuvor erschienen war: Das Märchen des Aufstiegs vom Sonderschüler zum Millionär, zum gerissenen Geschäftsmann, der die Reichsten der Reichen um den Finger wickeln und sie ausnehmen konnte wie eine Weihnachtsgans. Vom Millionen- und Millionärsbetrüger, der als Schüler Legastheniker war und als Kaufmann so perfekt in seinem Geschäft und der Präsentation eines luxuriösen Lebensstils, dass kein Zweifel an seiner Seriösität hatte aufkommen können. Diese Geschichte ist wahr. Es ist aber nur die eine Seite.

Auf der anderen stehen die Geprellten. Selbst Millionäre zumeist, die ihre Verluste verschmerzen konnten und deshalb eher zur Häme als zum Mitleid reizen. Auf dieser Seite der Geschichte steht ein psychologisches Lehrstück über die Gier nach Geld und Macht, über den Wunsch, von beidem immer noch mehr zu bekommen.

In der Hamburger Oberschicht hatte sich eine Szene herausgebildet, die nur noch um sich selbst kreiste, in der alle um den Reichtum des anderen wussten und man sich damit trotzdem noch gegenseitig beeindrucken konnte. Luxusautos, Privatjets oder Partys, auf denen sündhaft teure Kleider getragen wurden, die nur für diesen einen Abend erstanden worden waren. Wer einmal auf Harksens Yacht eingeladen worden war, der war ganz oben mit dabei. Bauunternehmer Siegfried Greve hat es selbst zu großem Vermögen gebracht, und doch hat er sich davon blenden lassen, dass Harksen eines Tages seinen Hund alleine im Lear-Jet nach Ibiza fliegen ließ, den er zu Hause vergessen hatte. 20 Millionen Mark hat Greve für seine Naivität bezahlt.

Da ist der Zeuge Hanns-Christian Hülse-Reutter, ein Juwelier. Alteingesessenes Geschäft am Jungfernstieg, Millionenvermögen. Ein Laden, in den man nicht mal eben reinschlendert. Den man auf Empfehlung aufsucht, wenn man Geld auf eine Weise anlegen will, die nach außen sichtbar ist, in Schmuck. Hier lernten er und Harksen sich kennen, und schon der Ort der ersten Begegnung war für die späteren Geschäftspartner Beleg ihrer jeweiligen Seriösität: Harksen wusste, Hülse-Reutter hat Juwelen und damit Geld, und der Juwelier wiederum hielt Harksen für einen solventen Geschäftsmann, nachdem dieser bei ihm Schmuck im Wert von rund 2,5 Millionen Mark erstanden hatte. Man freundete sich an, Hülse-Reutter investierte die ersten Millionen in Harksens „Investment“, der revanchierte sich mit einer Einladung nach London zu einem Konzert von Paul McCartney. Der Juwelier kann sich selbst jedes Auto leisten, und trotzdem war es für ihn etwas Besonderes, im Bentley vom Flughafen in die City chauffiert zu werden. „Man dachte schon, Bill Gates sei im Spiel“, sagt er in Erinnerung an die Summen, mit denen Harksen um sich warf und die auch ihm, Hülse-Reutter, versprochen worden waren. „Das war eine Nummer größer als wir es gewohnt waren“, beschreibt auch ein anderer Zeuge, Anlageberater von Beruf, wie er die Partys im Hause Harksen genoss.

Selbst Geschäftsleute, die von Berufs wegen um den Beweiswert von Dokumenten wissen, haben bei Harksens Geschäften mitgespielt, vielleicht tatsächlich gutgläubig, zumindest aber mit dem Willen zur Gutgläubigkeit. Der Rechtsanwalt, der ursprünglich juristischer Beistand bei den Investitionen von Hülse-Reutters Mutter war, investierte 1994 schließlich selbst 400.000 Mark. Er solle „ein schönes Stück von dem Kuchen abbekommen“, hatte Harksen ihn gelockt. Es folgten ein paar Flüge nach Kapstadt, wohin die Familie Harksen sich 1993 abgesetzt hatte, geschäftliche Treffen in Hotels, nur fünf Sterne natürlich. „Es gab Testate, Kontoauszüge“, erklärt der Anwalt sein damaliges Vertrauen. „Ich dachte, so viele Sachen kann man nicht fälschen.“

Dirk H. ist als Wirtschaftsprüfer sogar ausdrücklich mit der Aufgabe betraut, die Vermögensverhältnisse seiner Mandanten sorgfältig zu durchleuchten. Stattdessen aber hat er Harksen einfach ein Vermögen in Höhe von 1,184 Milliarden Mark attestiert und mit dem falschen Gutachten Anleger zu verlustreichen Investitionen animiert. Er habe „keinen Grund“ gehabt, gab er vor Gericht zu Protokoll, an der Existenz von Harksens Milliardenvermögen zu zweifeln. Und sei es auch nur, weil das „damals wie ein Fieber war, und ich war selbst wohl zeitweise infiziert“.

Selbst Harksens Anwältin, Leonore Gottschalk-Solger, kam den damaligen Geschäften ihres Mandanten offenbar etwas zu nah. Sie gehörte zu den Treuhändern, die 1994 das angebliche Milliardeninvestment an die Anleger auszahlen sollte. Einem Investor soll sie versichert haben, dass das Kapital exisitiert. Der investierte – und verlor. Gottschalk-Solger hat ihr Mandat inzwischen niedergelegt: „Interessenkonflikt.“

Nicht nur die Zuschauer, die hochkonzentriert auf jeden Anlass zur Belustigung lauern, auch Harksen selbst schüttelt heute den Kopf über seine damaligen KundInnen. „Ich an ihrer Stelle hätte das nicht getan“, sagt er über die Millioneninvestitionen, aber: „Wenn diese Gier kommt, sie macht einen blind.“

Harksen hat es damals keine Angst gemacht, dass seine Legende eines Tages auffliegen könnte. Nach Kapstadt floh er schließlich vor der Staatsanwaltschaft und nicht etwa vor dem Zorn seiner Kunden. Er konnte seine Partys genießen, obwohl er wusste, dass die Gäste, denen er zur Begrüßung die Hand schüttelte, ihn ein paar Wochen später nach ihrem Geld fragen würden. Dann hat er sich eben einfach eine neue Ausrede ausgedacht. Im Gegenteil, dass alles so einfach war, hat ihn weiter angespornt: „Ich war wie im Rausch, stets neue Kunden zu kriegen.“

Seine Ehefrau Jeanette Harksen, der Beihilfe angeklagt, hat die Augen geschlossen und einfach genossen, dass ihr Mann ihr ein luxuriöses Leben bot. Jetzt, vor Gericht, will sie ein Opfer ihrer eigenen Naivität geworden sein. In Kapstadt hat die Familie im vornehmsten Stadtteil in einer Villa mit Swimmingpool gelebt, jetzt hat das Gericht Jeanette Harksen den Flug nach Hamburg und ein Hotel für die Dauer des Prozesses bezahlt, denn Geld hat sie angeblich keins. Sie hat eingeräumt, damals ihre Konten für die Transfers ihres Mannes zur Verfügung gestellt und nie nachgefragt zu haben. „Grauenvoll naiv, schön blöd“, sagt sie heute dazu. An den geschäftlichen Aktivitäten des Gatten habe sie aber zu keinem Zeitpunkt aktiv mitgewirkt.

Entweder es stimmt, oder Harksen hat sich sogar die Gutgläubigkeit seiner engsten Vertrauten zunutze gemacht. 1993, als längst Gerüchte über das Geschäftsgebaren ihres Mannes in Umlauf waren, schrieb Jeanette Harksen dem Ehepaar Hülse-Reutter aus Kapstadt einen Brief. „Jürgen ist kein Betrüger“, beteuerte sie, „sonst wäre ich doch nicht mit ihm zusammen.“ Und veranlasste sie dadurch zur weiteren Investition ins Nichts.