Deplatziert in der Großstadt

Bei seinem Auftritt im ColumbiaFritz kämpfte der fast schon vergessene Jonathan Richman mit kleinen akustischen Rock-’n’-Roll-Liedern für das Schöne, für die Liebe und gegen den Irakkrieg

von CHRISTIANE RÖSINGER

Was war los am Freitagabend im ColumbiaFritz? Hat der Antiamerikanismus in der Friedensstadt Berlin jetzt sogar zum Jonathan-Richman-Boykott geführt? Nur etwa 150 Leute hatten sich zum Konzert eingefunden. Nun gut, es gibt kein aktuelles Album und die 2001 erschienene Platte „Her Majesty not of High Heels and Eye Shadow“ hat nicht direkt Furore gemacht. Auch der Chartshit, das Instrumental „Egyptian Reggae“ stammt aus dem Jahr 1977, und Richmans Auftritt als griechischer Chor in „There’s something about Mary“, liegt fünf Jahre zurück.

Aber wer einmal Jonathan-Richman-Fan war, der bleibt es eigentlich für immer – auch wenn er nicht jede der inzwischen 20 erschienene Richman-Platten haben muss. Da sind die berühmten Songtitel, hinter denen sich die ganze Geschichte erahnen lässt: In „Give Paris one more chance“ oder „I was dancing in a lesbian Bar“ geht es ums Themenfeld „Deplatziert in der Großstadt“. Das traurige „ Not just a plus one on the guestlist anymore“ wiederum handelt von einer Liebe, die zerbricht, weil die Musikerfreundin nicht mehr nur Anhängsel sein will.

Richmans Lebenslauf böte Stoff für viele Songs. In einem Vorort Bostons geboren, wächst das einsame Kind zum glühenden Velvet-Underground-Verehrer heran, folgt dem Ruf des Herzens und der Band nach New York, um schließlich 1970 mit den „Modern Lovers“ eine Gruppe zu gründen, deren Musik fast genauso klang wie die der Vorbilder. Richmans scheinbare Oberflächlichkeit erfreute das Punk- und Studentenpublikum der späten Siebzigerjahre. Bald wandte er sich jedoch ganz der akustischen Musik zu, mit der Begründung, er wolle „nur Musik machen, die die Ohren von Insekten und kleinen Kindern nicht verletzen kann“.

Den Hang zum Infantilen kultivierte er in den folgenden Jahren, die Lieder handelten vermehrt von Kaugummis, Eisverkäufern und Schneemännern. Trotzdem steckt hinter Richmans naiv-sentimentalem Wesen immer auch schwere Melancholie und durch seine lebensbejahende Zuversicht scheint stets etwas Verlorenes, Dunkles.

Mittlerweile ist das Velvet-Imitat selbst ein Star und akustischer Exzentriker. Seine Songs sind zwar einfach gestrickt, aber voller Feinheiten, sie basieren auf Doo Wop und dem Rock ’n’ Roll der Fünfzigerjahre. Das Gitarrenspiel ist perkussiv, der Gesang immer noch jugendlich nasal. Der inzwischen 52- Jährige sieht seit zwanzig Jahren wie 30 aus. Und doch wirkt sein jungenhaftes Grimmassieren, der gespielt unbekümmerte Gesichtsausruck manchmal sehr müde.

Mit minimalem instrumentalem Einsatz, nur vom Stehschlagzeuger Tommy Larkins, dem Mann mit dem abgehangensten Rockgesicht der Welt, begleitet, geht Richman vom ersten Ton an eine enge Beziehung zum Publikum ein. Es gibt sofort die alten Hits à gogo, wie gehabt unterbricht er aber seinen Vortrag immer wieder, um innere Monologe und Zwiegespräche mit dem zweiten, unsichtbaren Jonathan zu führen und wichtige Stellen pantomimisch zu illustrieren. Dann wird die Gitarre an die Körperseite gehängt, der Sänger kniet, betet, tanzt bevor der nächste Akkord folgt.

Der stoische Schlagzeuger beobachet argwöhnisch jede Bewegung, um spontane Tempowechsel oder improvisierte Übergange nicht zu verpassen. Seinen festen Glauben an das Schöne und die Liebe verficht der Sänger trotzig Lied um Lied. In „Couples must fight“ wird er zur singenden Pärchenschule, mit „Let her go“ geht es weiter um Streitverhalten in Zweierbeziehungen. Auch dieser Song muss unterbrochen werden, um die Szene auf Französisch, Italienisch und Hebräisch in mentalitätsbedingten Variationen nachzuspielen. „Not in my name in Baghdad“ heißt ein kleines Lied als Statement zur Weltpolitik, einige Songs in spanischer Sprache gibt es noch, dann geht er und kommt trotz stürmischen Applauses nicht wieder zur Zugabe. Nach dem Konzert sehen viele Leute glücklicher als vorher aus.