Wachpersonal merkt gar nichts

Frauen quälen stundenlang Mitinhaftierte im Knast. Personal reagiert erst auf Notruf. Justiz kündigt Überprüfung an

Äußerlich ist zwischen einem Frauen- und einem Männergefängnis kein Unterschied auszumachen: Beide verfügen über einen hohen Sicherheitsstandard, der sich nicht nur in Mauern, vergitterten Fenstern und Überwachungskameras ausdrückt. Drinnen jedoch genießen weibliche Inhaftierte größere Freiräume als männliche. Denn körperliche Gewalt kommt im Frauenvollzug praktisch nicht vor.

So war es zumindest bislang. Ein in seiner Brutalität für Berliner Frauengefängnisse einmaliger Vorfall zwingt die Justizverwaltung dazu, das Sicherheitssystem zu überprüfen. Bei der Tat, die sich am Sonntag im Frauenknast Lichtenberg ereignet hat, war eine 20-Jährige von vier Mitgefangenen über vier Stunden lang in einer Zelle gequält worden, ohne dass das Personal etwas davon mitbekam. Die CDU nahm den Vorfall, der erst am Mittwoch bekannt geworden ist, zum Anlass, um von Verhältnissen in Berliner Vollzugsanstalten zu sprechen, „wie sie ansonsten nur aus Gefängnissen der Dritten Welt bekannt“ seien. Sie fordert eine rückhaltlose Aufklärung, insbesondere, wie es dazu kommen konnte, dass der Übergriff „den Wärtern“ über längere Zeit verborgen geblieben sei.

Der Vorfall hatte sich dem Vernehmen nach zwischen 13.00 und 16.30 Uhr im Jugend-Untersuchungshaftbereich ereignet. Tatort war eine Zelle, die sich das Opfer mit einer der Täterinnen teilte. Auf der Station wird Wohngruppenvollzug praktiziert: Die Zellentüren sind nicht abgeschlossen, die 13 Insassinnen können sich tagsüber frei bewegen. Auslöser soll ein verschwundener Nasenring gewesen sein. Das Opfer wurde beschuldigt, diesen entwendet zu haben.

Stundenlang sollen die vier 15- bis 24-jährigen Täterinnen das Opfer „bearbeitet“ haben. Zuerst wurde es mit einem Elektrokabel drangsaliert, dann wurden ihm Haare und Augenbrauen abrasiert sowie Zigaretten auf dem Körper ausgedrückt. Später wurde es in eine Decke gewickelt und mit Füßen getreten. Schließlich wurde die Frau gezwungen, ein Gemisch aus Shampoo, Spülmittel und Urin zu trinken. Das Opfer, das mit dem Tode bedroht worden sein soll, soll nicht geschrien haben. Eine der Täterinnen hatte sogar die Zelle verlassen und sich in der Spülküche ein Brot geschmiert. Das Wachpersonal wurde erst aufmerksam, als es dem Opfer gelang, den Notruf zu betätigen.

Die Täterinnen sind in andere Haftanstalten verlegt worden. Das Opfer kehrte nach ambulanter ärztlicher Behandlung in den Frauenknast Lichtenberg zurück. Die Justizverwaltung kündigte eine eingehende Prüfung an. „Wenn sich eine Tendenz zu mehr Brutalität und Gewalt im Frauenvollzug bestätigen sollte, werden die erforderlichen Konsequenzen gezogen“, so eine Justizsprecherin. PLUTONIA PLARRE