ich ruf jetzt mal den mehdorn an! von WIGLAF DROSTE
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Im ICE Berlin–Hamburg sitzt in der Ersten Klasse eine schöne Dame und langweilt sich bei der Lektüre der Zeit. Als Pendlerin auf dieser Strecke ist die Frau Ödnis und Kummer gewöhnt: Regelmäßig steht der Zug mitten auf der Strecke. So auch an dem Nachmittag, an dem diese Geschichte sich zuträgt: Der Zugverkehr ruht ohne ersichtlichen Grund, eine Information, den Fortgang der Reise betreffend, wird nicht gegeben. Die Viertelstunden verstreichen, nichts geschieht. Durchs Abteil schwappt eine Mischung aus Fatalismus, Trübsinn und Unmut. Da erhebt sich ein schlanker, distinguiert wirkender Herr in Schwarzundgrau, zückt entschlossen sein Mobiltelefon und erklärt sonor: „Ich ruf jetzt mal den Mehdorn an.“

„Ich ruf jetzt mal den Mehdorn an“ – das klingt nach „Pass ma auf, ich hab da Beziehungen“, nach Männern, die es fertig bringen, mit einem bedeutungsvoll geraunten „Vitamin B, verstehste …“ den Willi zu machen. DDR-sozialisierte Deutsche fühlen sich an den Sound von Staatsratseingaben und an das nicht minder schmierige „Ich habe Westgeld, Baby …“ erinnert. „Ich ruf jetzt mal den Mehdorn an“ ist eins der vielen Synomyme für den Breitreifensatz: „Sag ‚Du bist der Größte‘ zu mir, Doris-Schatz.“ Und das tut Doris-Schatz dann auch, sinkt zu Boden und umklammert dankbar die Knie des starken Mannes, des Anführers, der es schon richten wird.

Die BMW-Sorte Mensch hat es schon immer gegeben – großhalsige Herrenmenschler mit autoritären Zwangsvorstellungen. Seit aber Gerhard Schröder turnusmäßig das Nullwort „Chefsache“ aus dem Vollgummikopf fällt, treten die atavistischen Chefdarsteller noch viel zahlreicher und ungenierter auf: Einem Mannesmann-Manager stehen 60 Millionen Euro qua Stellung einfach zu, wenn der Laden von Vodafone übernommen wird; so ein Chefmannesmann wiegt, zumindest in seiner Binnenwahrnehmung, eben eine Million Nichtchefs auf.

Gerhard Schröder macht es vor: Ohne einen Funken natürlicher Autorität gebärdet er sich als Alphatier und kann sich auf nichts stützen als auf antidemokratische Affekte und Reflexe, auf Einschüchterungen und Drohungen. Dass Schröder dafür, zumindest in seiner Partei, nicht Widerstand, sondern hündische Ergebenheit erntet, liegt im Wesen des Führerprinzips: Wer sich ihm unterwirft, ergriff ein todsicheres Mittel, den Geist auszuknipsen. Das Führerprinzip nützt stets ausschließlich den Führern – die Geführten lähmt es.

In dem Mann, der sich im stehenden Zug zwischen Hamburg und Berlin zu Importanz und jovialem Chefheroismus aufschwang und eben mal „den Mehdorn anrufen“ wollte, erkannte die anwesende Zeit-Leserin den ehemaligen Staatsminister für Kultur und derzeitigen Mitherausgeber der Zeit, Michael Naumann. So geht das: Zwei Jahre in Diensten und Umgebung Gerhard Schröders können nur Stil und Intelligenz absaugend sein. Jeden, auch einen kultivierten Beau de lettre wie Michael Naumann, kann so schlechte Gesellschaft dazu bringen, Widrigkeiten des Alltags dumpf autoritär von Unterführer zu Unterführer wegbefehlen zu wollen. Es liegt nicht an Naumann, es liegt am Prinzip Chef.