PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Der rasende Reporter

Fußballprofi Oliver Kahn hat zurzeit keinen Führerschein. Das freut manche. Mich nicht. Ich kenne das Gefühl

Wenn Oliver Kahn in diesen Tagen von seiner Freundin im Ferrari zum Training in die Säbenerstraße gebracht wird, lachen seine Fußballfreunde. „Schau her, der Oli, muss sich von einer Frau fahren lassen. Das ist die größte Strafe für ihn.“ Der Oli hat nämlich zurzeit keinen Führerschein, weil er auf der InntalAutobahn mit etwa 70 Stundenkilometern über den erlaubten 120 erwischt worden war. Ja, ja, die Inntal-Autobahn. Kurz vor der Einmündung auf die Salzburger Autobahn, da stehen sie gern. Aber das weiß man doch! Dort hat es auch Lothar Matthäus seinerzeit erwischt (164 km/h) und Franz Beckenbauer (140 km/h). Reden die denn nicht miteinander?

Wie auch immer, wenn die Radarfalle bei Prominenten zuschnappt, dann freut sich der Zeitungsleser in aller Regel. Weil ihm das für einen Moment die Gewissheit gibt, wir seien doch alle irgendwie gleich. Der „Starenkasten“ als soziales Korrektiv.

Mir selbst ist Häme fremd, wenn ich Menschen ohne Führerschein begegne. Ich könnte es schließlich selbst sein. Im Durchschnitt vier Wochen im Jahr liegt nämlich auch mein Führerschein beim zuständigen Landratsamt, weil ich Egon Erwins Kischs „Der rasende Reporter“ wieder zu wörtlich nahm. Zwar schiebe ich mit allen juristischen Tricks die Abgabe meines Führerscheins in die Zeit, in der ich im Ausland bin (wo mich noch niemand nach dem Führerschein fragte), aber Geld, viel Geld, kostet es allemal.

Als mein Flensburger Konto auf 14 Strafpunkte angeschwollen war, ging ich freiwillig zum verkehrspsychologischen Dienst beim TÜV. Drei Stunden Einzeltherapie bei einer freundlichen, gut aussehenden Psychologin. „Das Auto ist doch keine Waffe“, sagte sie, und ich nickte. „Lassen Sie sich nicht unter Zeitdruck setzen.“

Ich bedankte mich für die Ratschläge, aber mehr noch für die zwei Punkte, die einem durch einen solchen Canossagang erlassen werden. Auch eine freiwillige Nachschulung bei einer Fahrschule habe ich hinter mir (vier Bonuspunkte): vier Abende auf dem Sünderbänkchen. Noch heute lächle ich, wenn ich an meinen Nebensitzer denke. Das war ein Türke, der im Großmarkt von München mit einem mit Tomatenkisten beladenen Gabelstapler verunglückte und dabei – wegen Personenschadens – vier Punkte kassierte.

Da echte Reue mir wesensfremd und der Termindruck nach wie vor groß ist, bin ich nach diesen Sitzungen immer schnell wieder weggerast. Die Lust, auf einer freien deutschen Autobahn in einem durch Katalysatorentechnik einigermaßen umweltfreundlich ausgestatteten Auto 230 Stundenkilometer zu fahren, will einfach nicht nachlassen. Das Gefühl, die Gesetze von Raum und Zeit nahezu außer Kraft setzen zu können, euphorisiert mich. Während die Landschaft an mir vorüberfliegt. Bis es wieder blitzt. Dann hole ich meine Liste hervor, auf der all die Freunde verzeichnet sind, die mir zum Geburtstag Punkte geschenkt haben. „Walter, es ist wieder so weit. Drei Punkte.“

Walter fährt immer sehr anständig Auto und hat daher in Flensburg keinen Eintrag. Im Anhörungsbogen trage ich seinen Namen als Fahrer zum fraglichen Zeitpunkt ein, und der Fall ist gegessen. Sie akzeptieren sogar Bart- und Brillenträger, weil der elektronische Abgleich mit dem gespeicherten Passfoto offenbar noch zu aufwändig ist.

Letzte Woche kam ein Einschreiben aus Italien. Der Absender: das Innenministerium. Ich sei auf der Autobahn zwischen Rom und Florenz viel zu schnell gefahren. Macht 154 Euro, zu überweisen an die italienische Staatskasse.

Ich tat, was ein Anwalt mir riet: „Den Brief ins Altpapier schmeißen und abwarten.“ Denn noch darf Italien keine Strafen in Deutschland vollstrecken. Solange der europäische Einigungsprozess im Schneckentempo voran geht, können wir Deutsche im Ausland noch rasen.

Übrigens beginnt nächste Woche in Karlsruhe der Prozess gegen einen Raser, der so dicht auf ein Auto aufgefahren sein soll, dass die Fahrerin in Panik geriet und mit ihrem Kinde tödlich verunglückte. Kein guter Zeitpunkt für eine solche Kolumne.

Fragen zu Rasern? kolumne@taz.de Dienstag: Jenni Zylkas PEST & CHOLERA