NICHT NUR SCHRÖDER TUT SICH MIT DER KABINETTSUMBILDUNG SCHWER
: Langweiler leben länger

Es sind genau die Richtigen, die gestern die Debatte um eine Umbildung des Bundeskabinetts vorantrieben. Schröder solle endlich mal „auf den Tisch hauen“, fordert Wirtschaftslobbyist Michael Rogowski, und Niedersachsens SPD-Landeschef Wolfgang Jüttner findet die Gesichter im Kabinett „verbraucht“ – als ob der bräsige Niedersachse so viel mehr Erneuerungswillen ausstrahlen könnte.

Dabei sind die Argumente gegen die Wackelkandidaten durchaus schlüssig. Kaum jemand verkörpert die Defizite der Regierung mehr als Mautminister Manfred Stolpe oder Zehn-Euro-Ministerin Ulla Schmidt. Der Chef des Innenressorts hat den besten Zeitpunkt für den Absprung wohl verpasst, und legitim ist auch der Wunsch, den angeblichen Aufbruch in der Bildungspolitik durch einen Ministerwechsel plausibler zu machen.

Doch ohne eine klare Politik macht auch eine Kabinettsumbildung wenig Sinn, zumal der richtige Termin fürs Stühlerücken im Superwahljahr schwer zu finden ist. Vor allem aber fehlen schlicht die Köpfe, die als Nachfolger in Frage kämen. Der Mangel an charismatischen Figuren ist freilich kein Problem der SPD. Nicht nur in Deutschland, auch andernorts in Europa werden die Politik immer dröger. Nach fast sechs Jahrzehnten demokratischer Normalität ist in Westeuropa der Vorrat an Politikern erschöpft, die aus den Wunden der eigenen Biografie noch politisches Kapitel schlagen können – vom ehemals Steine werfenden Außenminister vielleicht einmal abgesehen. Das sollte aber kein Grund zum Mäkeln, sondern zur Freude sein.

Auch außerhalb des alten Kontinents ist das Genörgel übers eigene Kabinett zum verbreiteten Phänomen geworden. Brasiliens Präsident Lula versprach anlässlich seiner jüngsten Regierungsumbildung, er wolle 2004 „all jene Dinge perfektionieren“, die im ersten „sehr schweren Amtsjahr“ nicht angepackt wurden. Das wirkt so vertraut wie die Meldung aus Frankreich, Staatspräsident Chirac könne nicht auf eine Ablösung des umstrittenen Innenministers Sarkozy drängen – wegen der anstehenden Regionalwahlen. RALPH BOLLMANN