Tony Blair mimt den Ahnungslosen

Großbritanniens Premier will über Saddams Waffen nichts gewusst haben. Ex-Außenminister behauptet das Gegenteil

DUBLIN taz ■ Tony Blair hat nichts gewusst. Niemand hat ihm erklärt, dass es sich bei den irakischen Waffen, die laut Dossier der britischen Regierung binnen 45 Minuten aktiviert werden könnten, um Kurzstreckenwaffen handelte. Der Premierminister hatte – genau wie die Öffentlichkeit – angenommen, dass damit Langstreckenwaffen gemeint waren, die bis nach Israel oder Zypern gereicht hätten.

Sein Verteidigungsminister Geoff Hoon und der frühere Außenminister Robin Cook wussten Bescheid. Cook behauptete gestern, dass auch Blair informiert war. Er habe mit Blair am 5. März 2003 darüber gesprochen, dass „Saddam keine Massenvernichtungswaffen besaß, die gegen strategische Ziele eingesetzt werden konnten“. Den Inhalt dieses Gespräches hat Cook in seinem Tagebuch notiert.

Wenn das stimmt, hat Blair vorgestern das Parlament belogen. In der Unterhausdebatte über den Hutton-Bericht bestand Blair am Mittwoch darauf, er habe zu Kriegsbeginn nicht gewusst, dass Saddam keine chemischen und biologischen Langstreckenwaffen hatte. Er habe den Geheimdienstbericht für korrekt gehalten. „Es kann sein, dass wir Iraks Massenvernichtungswaffen überschätzt haben, aber wir sollten stolz auf unsere Geheimdienste sein“, sagte Blair.

Er wies die Kritik des Wissenschaftlers Brian Jones zurück. Jones, führender Waffenexperte in der nachrichtendienstlichen Abteilung des Verteidigungsministeriums, sagte, dass die Geheimdienstchefs die Warnungen ihrer eigenen Experten ignoriert hätten. Keiner dieser Experten habe den Behauptungen über die irakischen Massenvernichtungswaffen zugestimmt. Blair entgegnete, Jones wisse nicht, wovon er spreche: Man habe ihm aus Gründen des Informantenschutzes nicht alle Unterlagen gezeigt, seine Vorgesetzten seien aber im Bilde gewesen.

Es war kein guter Nachmittag für Blair. Auf kritische Fragen, ob Blairs damaliger Berater Alastair Campbell das Regierungsdossier über den Irak aufgebauscht habe, antwortete Blair, dass jeder das Recht habe, das Urteil von Lordrichter Hutton nicht zu akzeptieren. Laut Umfragen akzeptieren 90 Prozent der befragten Briten dieses Urteil nicht. Sieben von ihnen waren vorgestern im Unterhaus und unterbrachen die Debatte mit Zwischenrufen. Unterhauspräsident Michael Martin unterbrach die Debatte und ließ den Saal räumen. Es war das erste Mal seit 17 Jahren, dass eine Unterhausdebatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. RALF SOTSCHECK