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: Serbisches Nachkriegstrauma

„Ostwind: Normal People“ (22.20 Uhr, ORB und 0.00 Uhr, ZDF)

Ein Auto rollt in Zeitlupe durch den Dauerregen. Der Fahrer starrt trübe durch die Windschutzscheibe und wünscht sich: „Alles soll in einer großen Flut untergehen.“

Deutlicher kann man Martin Scorseses „Taxi Driver“ wohl nicht zitieren. Doch dies sind nicht die Straßen von New York, sondern die Belgrads. Und die herbeigesehnte Apokalypse ist nicht der Wunschtraum eines einzelnen Zwangscharakters, sondern spiegelt die Grundstimmung einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft wider.

Mag man sich anfänglich noch am optischen Manierismus reiben, mit dem in „Normal People“ von der traumatisierten serbischen Bevölkerung erzählt wird, so erschließt sich dem Zuschauer nach und nach die psycho-ökonomische Gemengelage im Nachkriegs-Belgrad. Durch den Mord an Regierungschef Zoran Djindjić vor wenigen Wochen erhalten die Abhängigkeitsverhältnisse, in denen die Figuren hier zueinander stehen, auch für ausländische Zuschauer eine schmerzhafte Schlüssigkeit.

Denn der elegische Bilderbogen zeigt eine Welt, in der das Prinzip der Solidarität komplett zugunsten mafiöser Organisationsformen aufgegeben wurde. Letztlich muss sich jeder der um ein bisschen Alltagsglück kämpfenden Charaktere dafür entscheiden, ob er ein paar seiner letzten Habseligkeiten auf dem Schwarzmarkt verdealt oder ob er lieber der Halbweltgröße aus der Nachbarschaft den neuen Schlitten putzt.

Um der Agonie zu entkommen, kann man sich wohl nur in kargen Luxus flüchten. Ein Prozess, den Regisseur und Autor Oleg Novkovic skizziert, ohne ihn zu bewerten.

Koproduziert wurde dieses traurig aktuelle Soziogramm übrigens vom ORB, der es heute Abend als Abschluss der gemeinsam mit dem ZDF konzipierten Reihe „Ostwind“ zeigt.

Der Einsatz des ostdeutschen Senders hat sich gelohnt: Auch wenn der Alltag der Menschen in Belgrad trotz des Titels von einem erstrebenswerten Normalzustand noch weit entfernt ist – dringliche filmische Statements lassen sich hier offensichtlich trotzdem finden.

CHRISTIAN BUSS