amerika im krieg (9)
: Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

Vicksburg, Mississippi: Kein Kriegsfernsehen im „Burger Village“

Jennifer Rea Arnold hat andere Sorgen als den Krieg. Die 23-Jährige muss Sohn und Tochter versorgen und nebenbei ihre Ausbildung absolvieren. Sie lebt mit dem Vater ihrer Kinder, dessen Freundin und ihrer Mutter in einem einfachen Holzhaus am Rand der Kleinstadt Vicksburg in Mississippi. Tagsüber studiert sie am College im 50 Kilometer entfernten Jackson, der Hauptstadt des Bundesstaats, Physiotherapie. Nachts steht sie hinter dem Tresen im „Barellos“, einem frisch aufpolierten Restaurant, das mit seinen weißen Servietten, Tischdecken und feineren Weinen, wie eine Filmkulisse wirkt, die für einen Moment in die Hauptstraße zwischen Ramschläden und aufgegebenen Gebäuden geschoben wurde.

Noch sechs Monate, und die kleine, robuste Frau hat das Examen in der Tasche. Doch aus ihrem Traumberuf, in einer Rehabilitationsklinik zu arbeiten, wird vorerst nichts. Mit einem Vierjahresvertrag hat sie sich bei der US Air Force für die militärische Flugsicherung verpflichtet. Dafür bekommt sie die Ausbildung finanziert, die ihre Eltern nicht hätten zahlen können. Dank ihrer halbindianischen Abstammung erhält sie zusätzlich ein kleines Stipendium für ethnische Minderheiten. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. Neben dem Lebensunterhalt wollen ein Geländewagen, Waffen für ihr Jagdhobby und Brustimplantate bezahlt werden. Allein die Schönheitsoperation kostet rund 8.000 Dollar. „Ich habe kein Problem, darüber zu reden. Wenn es mir hilft, mich nach der Schwangerschaft wieder besser zu fühlen, warum nicht?“, sagt sie, die für das Recht auf Abtreibung plädiert, keine Heirat mag (wilde Ehe ist in Mississippi noch heute nach dem Gesetz strafbar) und sich für ihre Zukunft ein Leben in der Großfamilie vorstellt.

Doch auch daraus wird erstmal nichts. Zwei ihrer Brüder und fünf Onkel kämpfen im Irakkrieg. „Ich verdränge es. Ich gucke keine Fernsehen. Es würde mich nur krank machen.“ Der Krieg sei seltsam weit weg, sagt sie fast ein wenig ungläubig. Nein, hinterfragen tut sie die Invasion im Irak nicht. Sie vertraut einfach ihrem Präsidenten.

Vom „Barellos“ sind es nur wenige Minuten bis zum Eingang des riesigen Soldatenfriedhofs. Vicksburg war die letzte Südstaatenbastion in Mississippi und wurde während des amerikanischen Bürgerkriegs monatelang von den Truppen der Nordstaaten belagert. Der Friedhof mit seinem hügeligen, üppigen Park ist eine nationale Pilgerstätte geworden, wo selbst Abfallbehälter die Form von Kanonen haben. Der Tag ist verregnet und grau. Offenbar genau das richtige Wetter für einen pensionierten britischen Offizier, der zum Urlaub meist in die USA reist. Es sei falsch, zu glauben, dass Militärs kriegswütig seien, sagt er. Manche Schlachten müssten jedoch geschlagen werden wie der Krieg gegen den Irak. Nur löse er nicht den Nahostkonflikt, wie Bush behaupte. „Ehrlich gesagt, Ariel Scharon bedroht den Frieden mindestens genauso wie Saddam Hussein.“

Im „Burger Village“, fühlt sich niemand bedroht. Der Name des Lokals ist etwas irreführend, denn statt gepressten Hackfleischs gibt es deftige Südstaatenküche mit Reis, Bohnen und Wurst für eine ausschließlich schwarze Kundschaft. „Dieser Krieg ist falsch und unmoralisch“ schimpft Chefin Elease Doyle, eine Meinung, der sich alle anderen an der Theke Versammelten anschließen. Die gemütliche und etwas pastoral wirkende 60-Jährige mit der großen Brille hat den Fernseher aus ihrem Restaurant verbannt. „Ich möchte, dass die Leute miteinander reden und nicht nur noch Krieg gucken.“ Für ein bis zwei Dollar kann man sich bei ihr satt essen – ein dringend benötigtes Angebot in einer Stadt, in der die Armut regiert, in der die Mehrheit der Schwarzen von staatlicher Unterstützung lebt und viele den monatlichen Wohlfahrtsscheck in der Hoffnung auf das große Glück in den Kasinos am Hafen verspielen. Ganze Straßenzüge sind verwahrlost und von der städtischen Verwaltung sich selbst überlassen. Die Kriminalität ist hoch. „Fight Crime-Shoot Back“ empfiehlt ein großes Schild am Eingang des Waffengeschäfts „Top Dollar Gun“, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Armut weiß. Hier sind Revolver bereits für hundert Dollar zu haben. „Seit dem 11. September brummt das Geschäft“, freut sich Steve Sherman. Der Inhaber ist ein wandelnder Juwelierladen mit Gold an Armen, Fingern und um den Hals. Aus seinem Gürtel ragt der schwarze Griff einer Pistole. Bei ihm hat George W. Bushs Überzeugungsarbeit gefruchtet. Für ihn ist der Fall klar. „Saddam und Bin Laden schickten ihre Leute, um 3.000 Amerikaner zu töten. Natürlich müssen wir uns verteidigen.“ Nachfrage ist zwecklos. Der Irak und al-Qaida stecken unter einer Decke.