nebensachen aus nouakchott
: Die Wiedergeburt des Benz oder Im Himmelreich der Mercedesse

Die Sonne stand gleißend am wolkenlosen mauretanischen Himmel, ein leichter Seewind wehte Saharasand vor sich her und ich machte mir Gedanken über Tod und Wiedergeburt – Tod und Wiedergeburt von Autos, versteht sich. Früher, wenn ich in Hamburg an Staukolonnen blitzend neuer Autos vorbeimarschierte, habe ich mir nie Gedanken gemacht, wohin sie gehen, wenn sie nicht mehr sind, was sie einmal waren. Natürlich gibt es auch in Deutschland Gebrauchtwagenhändler, aber was dort verkauft wird, hat mit meinem heutigen Verständnis von „gebraucht“ nicht mehr zu tun als ein Sportcoupé mit einer Ente.

Nein, wohin die alten Ford-Kombis gehen, lernte ich erst am Flughafen von Dakar im Senegal, als ich auf meinen Flug nach Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens, wartete. Als wir bereits eine Stunde in der Luft hätten sein sollen, kam ein Mann in Uniform auf mich zu. „Air Mauritanie hat vor einigen Stunden Pleite gemacht“, entschuldigte sich der Angestellte. „Andere Flüge gibt es nicht. Aber vielleicht habe ich eine Idee.“ So lernte ich den Fahrer Mohammed und seinen Ford Kombi kennen.

Es muss einmal ein Ford Kombi gewesen sein. Auch wenn der Wagen, der auf einem Parkplatz im Industriegebiet vor sich hinrottete, nur entfernte Ähnlichkeit mit dem Automobil aufwies, das es früher einmal war. Die einstige Familienkutsche war im Senegal wiedergeboren worden – als Leichenwagen. Die Scheiben hatte Mohammed schwarz angestrichen: Pietät ist Trumpf. Die mit dünnem Stoff überzogenen Metallrahmen, auf denen früher einmal Sitzpolster gewesen sein mögen, lagen nur wenige Zentimeter über dem Asphalt, weil das dünne Bodenblech eine Etage tiefer angeschweißt wurde als normal. „Ich bringe dich zur Grenze“, lachte Mohammed, und sein Lachen hatte etwas Verzweifeltes. Meinen Flug nach Mauretanien hatte ich mir anders vorgestellt.

Unsere trotz maximal Tempo 40 halsbrecherische Fahrt endete in Rosso, wo Rucksack und Passagier auf ein wackliges Kanu umgeladen und über den Senegal-Fluss nach Mauretanien verschifft wurden. Ähnlich muss es den armen Seelen gegangen sein, die von Charon über den Styx ins Jenseits gefahren wurden. Und die Polizisten auf der anderen Seite taten alles, um mir das Gefühl zu geben, ich sei tatsächlich im Hades gelandet.

Doch weit gefehlt: Ich wusste, ich war im Himmel, als eine Stimme zu mir sprach. Sie sagte: Taxi? Und der Mann zeigte auf seinen blitzend weißen Mercedes, E-Klasse. Wenn es einen Himmel für Mercedesse gibt, dann heißt er Mauretanien. In Nouakchott gibt es praktisch kein anderes Gefährt. Was im Rest Afrikas den Regierenden vorbehalten ist, fährt hier selbst der Sammeltaxichauffeur. Draußen in den Dünen steht der Benz wie ein Standbild. „Wir lieben unsere Mercedesse“, gesteht ein Monteur in Nouakchott. „Ganz Afrika will gebrauchte Mercedes-Karossen aus Europa, aber wir lassen keinen durch.“ Nur wenn ein Frachter mit Ford Kombis kommt, darf der weiterfahren. Schließlich kann nicht jeder in den Himmel kommen. Manchen bleibt nur die Wiedergeburt.

MARC ENGELHARDT