Erfolgsgeheimnis Herzblut

Auch wenn der Traum von der großen Familie vorbei sein mag, gilt die Hamburger Plattenfirma Lado immer noch als gute Adresse in der inländischen Indie-Szene. Mit „Wir“ hat die Elektro-/Pop-Schmiede jetzt drei Jahre ihrer Aktivitäten compiliert

von JAN FREITAG

Nur das Genie beherrscht das Chaos. Eigentlich sind für solche Sätze fünf Euro in die Floskelkasse fällig. Doch wie es Lado zum weltweit geachteten Indielabel gebracht hat, ist angesichts wilder Unordnung in der Firmenzentrale am Kiez eine Phrase wert. Wer indes über die Berge von Promo-Material, Snacks und Zeitschriften ins Herz der Elektro-/Pop-Schmiede schaut, ahnt das Erfolgsgeheimnis: Herzblut. Mit „Liebe zur Musik“ umschreibt es Lado-Produktmanager Stephan Rath mit leichtem Anflug von Pathos: Lado wolle nicht Geld machen, sondern Zeichen setzen.

Und zwar 35, nimmt man die neue CD. So viele Stücke der Lado-Unterlabels L‘Age D‘Or und Ladomat sind auf dem Doppelalbum Wir compiliert. Geplant als Reklamesampler, zeigte es bald sein Absatzpotenzial und fertig war die Kaufversion. Ein Klanggebirge mit Rock von Tocotronic oder Superpunk, Elektro-Lo-Fi von Suguru Kusumi oder Egoexpress, House von Lawrence oder Goldenboy, Spielereien von Grom oder 8Doogymoto – und mit Commercial Breakup sogar Kirmestechno.

So verortet sich Lado laut Eigenwerbung „außerhalb von Mainstreamgewäsch, Chartsgeschiele oder kameraerprobtem Gegrinse“. Eine gute Portion Selbstbewusstsein – auch über Randzonenmusik hängt schließlich das Damoklesschwert der Marktgesetze. Lado, gesteht der verbliebene Gründer Carol von Rautenkranz, strebe natürlich kommerziell erfolgreiches Liedgut an. Kein leichtes Unterfangen für die Popwerkstatt: Gerade mal ein knappes Dutzend mitarbeitende Musikfreaks implantiert Gitarrenpop und Elektrogefrickel in die kreative Nische zwischen den Majors. Zwischen 900 und 30.000 Einheiten taxiert Stephan Rath den Absatz pro veröffentlichtem Album. In solchen Dimensionen schafft kaum eines den Sprung in die Charts, geschweige denn zur Goldenen Schallplatte – auch wenn neben dem obligaten Kickertisch im Konferenzzimmer ein französisches Exemplar für Andreas Dorau hängt.

Bei den Majors dürften selbst die Raucherecken komfortabler sein als dieser Raum im Jugendzentrumstil. Aber so lauten eben die Regeln: Das Dreamtremolo von „Superstars“ genannten TV-Dummies ging häufiger über den Tresen als alle Lado-Werke zusammen. Und zwar seit der ersten Single vor mehr als 14 Jahren. Dabei ebnete „Kein Schulterklopfen“ von Kolossale Jugend 1988 nicht nur die Erfolgsspur von L‘Age D‘Or, sondern darf als Gründungshymne der „Hamburger Schule“ gelten.

Als dann 1994, zwei Jahre vor der Umbenennung in Lado, das Elektrolabel Ladomat hinzukam, war die Firma längst eine Institution der amorphen Indie-Szene. Mit Beachtung bis hin zur MTV-Präsenz: Legendär ist der Versuch von VJ Paul King, seine Lieblingsband Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs unfallfrei anzumoderieren. War das Label damals ein regionaler Talentscout, sind die Zeiten, da Ex-Konzertveranstalter von Rautenkranz rund um Hamburg auf Bandsuche ging, passé. So wie sein Traum einer großen Familie. „Der Zusammenhalt von früher ist vorbei, begründet etwa Fink-Sänger Nils Koppruch den Wechsel zur Konkurrenz. Der Umgangston sei geschäftlicher geworden, das Klima rauer.

Kapitalismus funktioniert eben nicht im Kleinen – auch wenn Wir gegensteuert. Dass es selten ohne Kompromisse zugeht, beweist die hauseigene Vermarktungsstrategie: Statt Zugpferde wie Tocotronic oder Die Sterne gewinnträchtig an die Großen zu verhökern, setzt von Rautenkranz auf Kooperationsverträge mit Sony und Co. „Das Image war gut, nur der Verkaufserfolg blieb aus“, entschuldigt der offizielle Chef des eher unhierarchischen Betriebs. Denn die Feinde des Indiepop sind rote Zahlen – nicht die Majors. Und schon gar nicht das Chaos.

Wir erscheint am 14.4. als Doppel-CD und DVD bei L‘Age D‘Or