„So war die Reform nicht gemeint“

Sozialzentren in der Diskussion: Die Nähe der Dienste zu den Menschen lässt auf sich warten. Heute sollen in der Bürgerschaft aber ohnehin nur Zahlen debattiert werden. Wie viel Sozialhilfeempfänger hat Bremen dank der Reform weniger?

taz ■ Auf der Tagesordnung der Stadtbürgerschaftssitzung steht heute ein wunder Punkt: die zwölf Bremer Sozialzentren. Sie sind Kernstück der von Sozialsenatorin Karin Röpkes (SPD) Vorgängerin Hilde Adolf (SPD) in die Wege geleiteten „Fördern-und-Fordern“-Reform der Sozialverwaltung. „Mehr Bürgerorientierung, weniger Bürokratie und kurze Wege für die Hilfesuchenden“ – so lautete vor der Gründung der Zentren die gute Absicht. Wer damals schon orakelte, es ginge im Grunde nur ums Sparen, galt als Miesmacher. Eine große Anfrage der Regierungskoaltion bezieht sich nun aber tatsächlich im Wesentlichen auf den ökonomischen Effekt im vergangenen Jahr. „Wie groß ist die Anzahl der aus dem Hilfesystem gebrachten Fälle in der wirtschaftlichen Hilfe oder das entsprechende geldwerte Äquivalent“, so die zentrale Frage, deren Antwort heute im Stadtparlament diskutiert wird.

Entgegen der allgemeinen Tendenz zu steigenden Sozialhilfe-Kosten konnte, so heißt es in der Senats-Antwort, die Zahl der Sozialhilfe-Bedürftigen im Jahr 2002 um 478 Fälle gemindert werden. Damit habe die Sozialbehörde ihre „Zielzahl“ für das vergangene Jahr zwar erreicht. Zugleich aber sei „deutlich, dass sich der Abbau der Fallzahlen im Jahresverlauf abschwächte“, was unter anderem auf die zunehmend schwierige gesamtwirtschaftliche Lage zurückzuführen sei.

Während also die Prognosen fürs laufende Jahr nichts Gutes verheißen, ist schon 2002 in den Stadtteilen längst nicht alles so gelaufen, wie es per Vertrag mit dem Ressort abgestimmt war. So hat etwa das Sozialzentrum Gröpelingen 143 Menschen weniger als verabredet aus der Sozialhilfe gebracht. In Osterholz waren es dafür 200 mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig. So habe, erzählt Sozialamtsleiter Erwin Böhm, eine Wohnungsgesellschaft in Gröpelingen ihre Mietpolitik geändert – mit dem Ergebnis, dass dort viele Sozialhilfebezieher hingezogen seien.

Karoline Linnert, Sozialpolitikerin der Grünen, glaubt ohnehin nicht, dass man die Sozialhilfe-Zahlen in nennenswertem Umfang steuern kann: „Es ist der Koalition entgangen, dass diese Zahlen weitgehend auf Kosten der Konjunktur gehen.“ Das Sozialressort selbst, das diese Faktoren gerade untersuchen lasse, sei da ein Stück weiter als seine Regierung. Im Übrigen aber hält Linnert den ganzen Katalog vorwiegend ökonomischer Fragen von CDU und SPD für verfehlt: „Hier schadet die Politik dem Sozialstaat, wenn sie diese Fragen in den Mittelpunkt rückt“.

Mit dieser Haltung steht Linnert nicht allein: „Die Sozialzentren sind ja nicht gegründet worden, um die Menschen aus der Sozialhilfe zu bekommen, sondern um mit den Sozialdiensten vor Ort zu sein“, rückt Personalrat Burckhard Radtke die mit der Reform verbundenen Absichten zurecht. „Das ist aber nur sehr bedingt eingetreten“. Die Nähe zum Stadtteil scheitere bis dato nicht nur am bürokratischen Behördenumzugswesen, sondern vor allem daran „dass so viel Personal gespart wird“, so Radtke. 30 Prozent und mehr seien bei den die wirtschaftlichen Hilfen begleitenden Diensten eingespart worden – für Arndt Möller, Personalrat in der Abteilung Junge Menschen, ein Eigentor: „Wir haben im letzten Jahr das Budget der Erziehungshilfekosten um 7,5 Millionen Euro überschritten – und das hat sicher damit zu tun, dass wir mit weniger Personal zu spät an die Problemlagen herankommen“. Leidtragende der Reform seien die auf Hilfe wirklich angewiesenen Personenkreise.

Dass es dagegen bei der so genannten „Aktivierung“, also der Vermittlung von SozialhilfeempfängerInnen in Jobs auf dem zweiten und dem ersten Arbeitsmarkt steigende Zahlen gebe, sei kein Wunder. „Da wurde ja auch Geld reingesteckt für zusätzliche Stellen, die wir allerdings 2005 wieder einsparen müssen“, sagt Radke. Sein Fazit: „Das Amt hat sich mit der Reform völlig übernommen. Und bei der Erfüllung der Sparqoute finden viel zu wenig sozialpolitsche Abwägungen statt.“

hey