Ein guter Tag zum Sterben

Seit Jahrzehnten ist der 1. April die Krönung des Katastrophenmonats

Hätte er sich nicht an die eiserne Fahnenstange angelehnt, würde er heute noch leben

Der April ist schon eine veritable Zumutung: Feige im Stich gelassen vom abziehenden Winter und noch nicht richtig ernst genommen vom Frühling, der alljährlich mit dieser unerträglich-arroganten Leichtigkeit der Jugend daherkommt, eiert er dahin und lässt sich einquetschen zwischen März und Mai, der alte Schlappschwanz. Und der 1. April ist seit Jahrzehnten die Krönung dieses Katastrophenmonats. Der größte anzunehmende Unfall des Jahres sozusagen.

Vieles spricht dafür, dass sich die Zeitungsfritzen dieses Gedöns mit dem 1. April nur ausbaldowert haben, um die Auflagen ihrer Provinzblätter wenigstens einmal im Jahr kräftig nach oben zu treiben. Oder ob irgendwann mal, rein zufällig, am 1. April wirklich jede Menge ulkige Geschichten passiert sind, die dann in der Zeitung standen, sodass sich im Laufe der Zeit Ursache und Wirkung – gegenseitig und höchst dialektisch – hochgeschaukelt haben? Nie werden wir dieses vorletzte Geheimnis der Menschheit ergründen!

Ich bin davon überzeugt, dass der erste April „gemacht“ wurde, und ich werde Ihnen das jetzt beweisen. Nehmen Sie zum Beispiel das Citylight vom 1. April 1989 zur Hand. Machen Sie sich den Spaß. Da schreibt ein gewisser Peter Fallow jr. auf der ersten Seite des Blattes einen reißerischen Artikel über „Cyber-Ben“. Gemeint ist der strebsame und unbescholtene Arzt Dr. Benjamin Armstrong, der eines Tages auf dem Heimweg von seiner Stammkneipe vom Blitz erschlagen wurde. Nur deshalb, weil er sich für ein paar Minuten ausruhen wollte. Da stand er nun, der gute alte Ben, schnaufte durch, war glücklich und zufrieden und das Budweiser plätscherte in seiner Wampe. Und wenn er sich nicht an die eiserne Fahnenstange vor der Basketballhalle angelehnt hätte, würde er heute noch leben. So aber machte es einmal kurz „tosh“, und Bennyboy war innerhalb von einer Sekunde nur noch ein kümmerliches Häufchen müffelnder Asche. Mehr war von der stattlichen Erscheinung des Medizinmannes (New York City Medical Center), der Leute hasste, die sich vor Gewittern fürchteten, nicht übrig geblieben. Eigentlich traurig genug, oder?

Es kommt noch schlimmer: Ein Jahr später, genau wieder am 1. April, tischt die nun nicht mehr trauernde Witwe, dem Citylight doch tatsächlich einen Bericht auf (mit Foto!) mit der Behauptung, dass sie ihren guten, alten Ben wiedergesehen habe. In der Nacht zum 1. April sei er ihr am sternenklaren Nachthimmel erschienen, und glücklicherweise habe ihr Bekannter, der zufällig in dieser Nacht bei ihr zu Hause war, seine Polaroidkamera dabeigehabt und ein Foto geschossen. Etwas verwackelt und unscharf, aber zweifellos sei es Ben gewesen, der mit Furcht erregender Stimme zu ihr gesprochen habe. So zierte dann die Titelseite ein schwarz-sumpfiges Foto, und die Auflage schoss wie gewünscht in die Höhe. Vielleicht auch deshalb, weil die lustige Witwe in einem Exklusiv-Interview mit dem Blatt verriet, dass sie gerade in dieser Nacht ein tiefes und lange nicht gekanntes Brausen im Körper verspürt habe.

Oder nehmen Sie den Artikel auf Seite 3 des Sudouest vom 1. April 1990, in dem über Nicole d’Anguomois (genannt Nini), 44, berichtet wird, die im Bezirkskrankenhaus St. Michel in Nantes drei propere Jungs entbunden hat: „Frau mit drei Brüsten bringt Drillinge zur Welt“, prangt da als fette Überschrift. Dazu das Foto mit den kleinen Knirpsen, die wie Wutzensäue an drei rosa schimmernden Riesenbrüsten tschutschen. Die Klinikleitung musste Polizeischutz beantragen, weil die Bürger von Nantes das Krankenhaus stürmen wollten, um ihre „trois petits couchons“ zu sehen. Wochenlang wogte eine wilde Diskussion in der Lokalpresse, die alle anderen Themen überlagerte, bis Nini eine eidesstattliche Erklärung vor dem renommierten Notar der Stadt, Monsieur Charles de Breton, abgab, dass es sich „lediglich“ um einen Aprilscherz gehandelt habe. Daraufhin musste der Chefredakteur des Sudouest erst mal inkognito einen längeren Urlaub in einer kleinen Oase bei Marrakesch antreten, da die enttäuschten Leser seines Blattes ihm aufzulauern drohten. Endlich, seit langer Zeit, gab es mit „Nini et ses trois petits couchons“ wieder Helden in ihrer Stadt, und da zerstört dieser Tintenkleckser durch eine läppische Gegendarstellung alle Illusionen. Unglaublich!

Der vorläufige Gipfel der 1.-April-Euphorie aber war der Bericht auf der fünften Seite im Lokalteil des Wuppertaler Generalanzeigers vom 1. April 1997. Der mit dem Kürzel RWM gezeichnete Artikel berichtete unter der Überschrift „Neue Trockenzeit für das Bergische Land?“, dass spätestens ab zwölf Uhr mittags für anderthalb bis zwei Tage das Wasser abgestellt würde. Der Bürger möge bitte schön vorher ausführlich duschen, die Zähne putzen, sein Geschäft verrichten und so weiter – schließlich wisse man ja nie bei diesen unzuverlässigen Brüdern in den Stadtwerken, wie lange die Wassersperre andauern könne.

Wenige Minuten nach sechs Uhr früh, also unmittelbar nachdem die Zeitung ausgeliefert war, herrschte bereits das perfekte Chaos in der Stadt. Hausfrauen ließen Badewannen und alte Waschbottiche voll Wasser laufen, füllten Eimer und Töpfe mit dem kostbaren Nass und stürmten anschließend alle Edeka- und Spar-Läden, um kistenweise Sinziger nach Hause zu schleppen. Und obgleich der WDR ab Mittag im Zwanzigminutentakt die Bürger zu Besonnenheit aufrief und die „neue Trockenzeit für das Bergische Land“ als Aprilscherz entlarvte, dauerte es noch mehrere Tage, bis die misstrauischen Wuppertaler dem Braten trauten und das sorgsam gehortete Wasser langsam wieder abließen.

Diese drei kleinen Episoden mögen reichen, um zu verdeutlichen, dass der 1. April definitiv kein Tag ist für Verkündigungen aller Art. Man sollte sich dafür vielleicht besser einen anderen der immerhin 364 Tage aussuchen. LEO F. SITKE