Medienkompetenz hinter Mauern

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „E-Learning im Strafvollzug“ will die Möglichkeiten, die der Einsatz von Computern beim Lernen und Lehren bietet, auch innerhalb von Haftanstalten nutzen. Freier Internetzugang ist dabei aber nicht erlaubt

VON VOLKER ENGELS

Medienkompetenz gilt als eine Schlüsselqualifikation, die aus dem Alltag kaum noch wegzudenken ist. Professionell gestaltete Schreiben verdrängen langsam, aber sicher den handgeschriebenen Brief, der gemütlich-grausige Diaabend im Kreise der gelangweilten Lieben wird immer häufiger von der Rundmail mit Fotoanhang abgelöst. Wer sich diesen modernen Computerspielereien im Privatleben verweigert, gilt schlimmstenfalls als liebenswerter Spinner. Anders im beruflichen Umfeld: Wer nicht zumindest minimale Computer- oder Netzkenntnisse hat, ist raus.

Manchmal ist es allerdings nicht das schnöde Desinteresse an moderner Technik, sondern eine Gefängnismauer, die die als grenzenlos gepriesenen Möglichkeiten der Bits und Bites beschränken. Denn moderne PCs, zu denen auch Gefangene Zugang haben, haben in vielen Knästen noch nichts zu suchen.

Das soll sich ändern. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „E-Learning im Strafvollzug“ (e-LiS) will die Möglichkeiten, die der Einsatz von PCs beim Lernen und Lehren bietet, auch innerhalb von Haftanstalten nutzen. „Auch Gefangene brauchen ein hohes Maß an Medienkompetenz, um in der Welt klarzukommen“, sagt Wilfried Hendricks vom Institut für berufliche Bildung und Arbeitslehre (IBI) an der Technischen Universität Berlin, das am Projekt beteiligt ist. Ein Weg zu dieser Medienkompetenz: „Die Häftlinge lernen während ihrer Haftzeit, mit dem Computer zu lernen“, so der Erziehungswissenschaftler. Darüber hinaus werde im Unterricht vermittelt, „wie so ein Computer überhaupt tickt“. Mit Hilfe von Bildungssoftware, die sich eng an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Inhaftierten orientiere, könne sehr individuell Wissen gemehrt werden: „Während der eine Gefangene zum Beispiel seine englische Grammatik verbessert, trainiert der andere sein Vokabular.“ Von Vorteil sei es auch, dass es „sofort eine Rückmeldung gibt, was man beherrscht und was nicht“.

Auch für die Lehrer, die in einer der 19 beteiligten Haftanstalten unterrichten, hat sich einiges geändert: „Die herkömmlichen Unterrichtskonzepte müssen sich ändern, wenn Rechner im Unterricht eingesetzt werden“, weiß der Leiter des IBI. Um die Lehrkräfte auf diese neue Unterrichtssituation vorzubereiten, werden sie vom IBI geschult. Inzwischen gebe es bei ihnen eine „große Akzeptanz“. Mancher Pädagoge habe sich dabei vom „Unterrichtsvollstreckungsbeamten zum Lernwegbegleiter“ gemausert, erzählt der Professor mit leisem Spott.

„Mit e-LiS werden Inhaftierten nach ihrer Entlassung bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet“, sagt Elisabeth Theine vom Brandenburger Justizministerium. Brandenburg gehört zu den sechs Bundesländern, die an dem Projekt, das von der Europäischen Union finanziell gefördert wird, teilnehmen.

Das Angebot, das sich vor allem an „lernschwache und lernunerfahrene“ Gefangene richte, werde „sehr, sehr positiv aufgenommen“, sagt die Fachreferentin aus dem Justizministerium. Rund 100 junge Gefangene, die in schulischen oder beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen steckten, würden das Angebot des computergestützten Unterrichts regelmäßig nutzen. „Wir erreichen gerade jüngere Gefangene, die es spannend finden, am Rechner zu arbeiten.“ Von Vorteil sei es auch, dass das Lernen am Computerbildschirm für viele „nicht so angstbesetzt“ sei.

Die grenzenlose Welt des Internets findet hinter Anstaltsmauern allerdings nicht statt. Zwar arbeite man mit „Internetsimulationen“, um die Inhaftierte zumindest theoretisch fit fürs Surfen zu machen, doch eine grundsätzliche Freigabe sei nicht möglich: „Die Missbrauchsmöglichkeiten wären viel zu groß“, so Theine. Gerade rechtsextreme Gruppierungen würden über „alle Wege versuchen“, neue Mitglieder zu rekrutieren. Es sei „mittelfristig wünschenswert“, sagt die Ministeriumsreferentin, „dass wir zu einer kontrollierten Internetnutzung kommen“.

Weniger ängstlich ist da nur die Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel: Seit 1998 gibt es in der größten Anstalt Deutschlands, in der bis zu 1.700 Gefangene leben, eine Internetgruppe. Seit dem Jahr 2000 können deren Mitglieder auch E-Mails empfangen oder versenden. Inhaftierte Studenten, die an der Fernuniversität Hagen eingeschrieben sind, haben inzwischen sogar Zugriff auf bestimmte Internetseiten der Hochschule, auf denen sie unter anderem auch an ausgewählten Diskussionsforen teilnehmen können. Diese virtuelle Öffnung ist jedoch keine Einbahnstraße: Seit Jahren betreibt die Internetgruppe eine eigene Knast-Homepage, die einen Blick hinter Gefängnismauern ermöglicht.