SMS von McLuhan

TV-Sender und Musikindustrie setzen verstärkt auf genau jenes Produkt, gegen das sie den Kampf ums Taschengeld verloren haben: das Handy

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Klingelton rettet den Videostar, derweil die SMS an den Plattentellern dreht. Nur, dass Musik jetzt eben nicht mehr auf Vinyl, sondern virtuell funktioniert. Nicht nur von Nokia, wohl dem Popkonzern unter den Mobiltelefonfabrikanten, gibt es längst ein Handy mit eingebautem MP3-Player und Ohrstöpseln. Taugt das Mobiltelefon also zu jenem Gadget, von dem der US-amerikanische Technologieoptimist Marshall McLuhan einmal sagte, es würde die menschlichen Nervenbahnen außerhalb der Körperhülle verlängern?

Richtig indes ist: Das Handy scheint dieser Tage eine der wenigen Möglichkeiten, die blank liegenden Nervenbahnen der Unterhaltungskonzerne in den Alltag ihrer Konsumenten zu lenken. Wo eine komplette Branche ihrer einstigen Klientel den Weg in den gut sortierten Plattenladen ausgetrieben und scheinbar auch ihre alltagskulturelle Definitionshoheit eingebüßt hat, sollen für BMG, Sony und Co. künftig wenigstens beim Klingeln die Kassen klingeln.

Momentan nämlich verdienen neben den Netzbetreibern vor allem Anbieter wie der Markführer Jamba! an den zwischen ein und drei Euro teuren Klingeltönen. Die Plattenfirmen selbst sichern sich einzig über die Rechteverwertungsgesellschaft Gema ein kleines Stück vom immer größer werdenden Kuchen. Alleine 60 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr in Deutschland mit den zusammengestauchten Erkennungsmelodien umgesetzt. Und im Popmutterland Großbritannien wurden erstmals mehr Klingeltöne als CD- Singles verkauft.

Und deshalb will die Musikindustrie bei den polyphonen Geräten der aktuellen Handygeneration nachholen, was sie bisher versäumt hat: Geld verdienen. So ist das Label Universal eine Kooperation mit dem Netzbetreiber T-Mobile eingegangen, für den im Übrigen auch Techno-Titan Sven Väth Klingeltöne entwirft. Eine handliche Portion Love Parade für zwischendurch.

Derweil wird die Popmusik im Musikfernsehen zunehmend in den Werbeblock verschoben – dann nämlich, wenn Alice Coopers „Poison“, als Ringtone beworben, ein überraschendes Comeback erfährt. Oder wenn Viva Sean Pauls „Get Busy“ zum ersten Klingelton-Superhit puscht.

Viva-Vorstand Dieter Gorny hat das traditionelle Musikfernsehen, wie wir es gar nicht mal so lange kannten, gerade erst für tot erklärt. Und MTV praktiziert in England, was uns wohl auch in Deutschland erwartet: Nur mehr ein gutes Drittel des Programms besteht dort aus Videoclips, der Rest aus auch diesseits des Ärmelkanals bekannten Dating-Shows („Dismissed“), Doku- Soups („The Osbournes“) oder der sehr alten Idee von der versteckten Kamera („Punk’d“).

Wovon die Musiksender indes nicht mehr lassen können, ist das Geschäft mit dem Short-Message-Service, kurz SMS genannt. Mehr als 10 Prozent seines Umsatzes, so Vorstandsmitglied Jörg Grabosch in einem Interview mit dem Branchenblatt horizont, möchte Viva kurzfristig mit den Kurznachrichten erwirtschaften. Für die etwas fernere Zukunft sei sogar denkbar, die Hälfte aller Einnahmen aus dem telekommunikativen Kontakt mit den zu Kunden mutierten Zuschauern – also aus Call-in-Shows oder SMS-Votings – zu akquirieren.

Das Credo einer solchen Fernsehphilosophie hat Andreas Türck, Moderator der „McDonalds Chart Show“ auf Pro 7, schon einmal vorformuliert: „Nicht vergessen, S-M-Sen.“ Denn auch in dieser Sendung macht das Handy den Hit, für 49 Eurocent pro Kurznachricht.

Was letztlich eine Geschichte nicht ohne ironische Pointe ist: In ihrer ökonomischen Krise flieht die Plattenindustrie ausgerechnet ins Handy, jenes Produkt, gegen das sie gerade erst den Kampf um das Taschengeld der Jugendlichen verloren hat.