gegelte visionen von JAN ULLRICH
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Ich habe Visionen: In der vergangenen Woche konnte ich erkennen, wie der Fußballtrainer Huub Stevens ohne gegelte Haare aussieht. Das ist nicht gerade toll für eine Vision, in der man doch etwas über die ganz persönlichen Aussichten oder zumindest das Schicksal der Menschheit erfahren möchte. Aber mehr ist leider nicht. Und, als ob das nicht reichte, habe ich, seitdem mich die Visionen ereilen, auch noch begonnen, meine Mitmenschen zu beleidigen. „Geldgeiles Schmarotzerschwein !“, „Vertreter von Gewerkschaftsinteressen!“, rufe ich meinem Nachbarn zu, nachdem er mir gerade kostenlos meine Wohnküche „Westerwald“ zusammengebaut hat. Es ist mir wirklich sehr unangenehm, wie ich den guten Menschen und mein soziales Ethos in Frage stelle, aber ich kann nichts machen. Der Druck der Visionen ist stark, ich könnte schreien.

Eine Nacht später sehe ich mich mit Giovane Elber rohen Fisch essen. In den Fisch ist ein roher Fisch gewickelt, in dem ein roher Fisch ist, in dem sich eine Eintrittskarte für das Badeland Euskirchen-Nord befindet. Dann bauen wir ein Tor auf – und schießen drauf. Aber der Ball fliegt immer daneben. Anschließend laufen wir eine Ehrenrunde und singen: „Zwei Rudi Völler, es gibt nur zwei Rudi Völler …“ Dabei tragen wir Schnurrbärte und sind mit Bayer-Leverkusen-Stickern beklebt.

„Hutschachtel!“, nenne ich eine gar nicht quadratische Frau, die mir auf dem Weg zur Arbeit ihren Platz im Bus überlässt; „Selbstmörder schonen die Rentenkassen!“, rufe ich in der Mittagspause laut einer Gruppe sporttreibender Pensionäre zu; und beim Tanztee ausgezeichneter Absolventen der philosophischen Fakultät echauffiere ich mich mit „Hühnerhirnchen-Fickalarm!“.

Ich bin eine Biene und fliege direkt auf den Wochenmarkt, um Wurst von Uli Hoeneß zu verkaufen. Doch meine Konkurrenz ist hart: Günther Netzer bietet an gleicher Stelle frisch zubereiteten Würzspinat an, für jeden, der will, sogar mit einem „Blubb!“. Eng an eng liegen unsere Verkaufserfolge, und es droht ein Herzschlagfinale. Doch als Simone Kahn kommt und Nutella-Brote vertreibt, ist das Spiel entschieden.

Wenige Tage später glaube ich, die Visionen lassen nach. Meinen Nachbarn nenne ich schon wieder einen „gewieften Trittbrettfahrer, sympathischer als Friedrich Merz“.

Gestern sollte endlich wieder ein ruhiger Tag werden. Ich wollte nur in die Stadt gehen und mir ein Paar neue Schuhe kaufen, als ich mich in der Tür irrte, plötzlich vor den Abgeordneten des Bundestages und der gesamten Mannschaft des VfL Bochum stand und unter dem Titel „Die Unmöglichkeit der Unmöglichkeit“ eine Verteidigungsrede für Rudolf Scharping hielt. Doch kaum hatte ich meine Ausführungen begonnen, da übergoss mich ein als Wolfgang Thierse verkleideter Rainer Calmund mit Remouladensoße und fragte: „Es stört Sie doch nicht, wenn ich hier mal kurz durchsauge?“ Die Polizei kam, verhaftete mich und brachte mich direkt in eine Talkshow. Dort verwandelt sich Sabine Christiansen in Haargel und verflüchtigt sich in den Haaren von Huub Stevens.