Amis brauchen Umerziehung

DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Das Fernsehen ist nicht antiamerikanisch, sondern eher für ein Amerika, wie es vor Bush war

Angeber ohne Gewehr machen Angaben ohne Gewähr, was letztes Mal „Pool-Journalisten“ waren, sind nun „embedded correspondents“; und die topaktuell tarnfarbenen Nachtsichtbilder sind auch alle wieder da. Dann kann das Lamento über den Kriegstreiber Fernsehen ja losgehen.

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Halt: Die „größten Friedensdemos der Nachkriegsgeschichte“ finden parallel statt. Die Menschen, die da gegen den Krieg demonstrieren, sind die nämlichen, die den Krieg im TV konsumieren. Eben noch gehörte es zu den Standardtänzen der Medientheorie: Die Videospiel-Ästhetik der Bombenbilder mache Krieg dem Zuschauer vorstell- und damit führbar.

Nun argumentiert es in Gegenrichtung: Nixon habe bekanntlich den Vietnamkrieg im Fernsehen verloren. Prompt verbiete die US-Administration Bewegtbilder von Gefangenen. Amerikanische Sender nennen Nachrichtenunterdrückung neuerdings „patriotisch“. Ich bitte also, zu Protokoll zu nehmen, dass das Fernsehen zurzeit sowohl vollrohr kriegstreiberisch bildkanoniert wie auch wehrkraftzersetzend rumpazifiert. Oder auch ganz egal, jedenfalls ganz medienwissenschaftliche Sache, lass uns nach dem Krieg einen Kongress einberufen. Dann wissen wir auch, wie’s ausgegangen ist, und können besser begründen, warum die Medien dran schuld sind.

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Man mag sich mit dieser Essenz der Albernheit, mit diesem indifferenten Botenverprügeln nicht mehr länger als ein, zwei Absätze aufhalten. Reden wir über Guido „Karajan der Wochenschau“ Knopp und sein Panoptikum von allem, was man auf Hitler beziehen kann. Auch der aufrichtigste Dokumentarist wird über die Jahre 33–45 keine anderen Bilder finden als von den Nazis bestellte, bezahlte, zensierte. Peter von Zahn zum Beispiel, später der Gottvater der deutschen Fernsehkorrespondenten, beschrieb in seiner Biografie offen seine Lehrjahre als Frontberichterstatter der Nazi-Wochenschau. Die waren damals maximalembedded, und ihr Material wird nun heute, dass man’s ungestraft wieder herzeigen kann, erneut in mahnenden Kommentar, düstere Musik und allerlei kasteienden Zierrat – eingebettet.

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Für den Endsieg hat das braune Filmmaterial damals nicht gereicht; aber für eine vernichtende Niederlage allen Vertrauens. Wohl ging manche Journalistenkarriere persilscheingestützt nahtlos weiter; die Journaille hat nicht mutiger aufgeräumt als etwa Juristen oder Mediziner, über die sie berichteten. Und wurde aufgeräumt, geschah es mitunter ohne Augenmaß: Frühschoppen-Dino Werner Höfer hatte Jahrzehnte tätiger Läuterung hinter sich, als man ihn mit – zugegeben: schmerzlich charakterlosen – Frühwerken konfrontierte und aus einem attraktiven Chefposten drosch. Der Spiegel, der sich selbst stets gereizt zur Wehr setzt, kommt die Sprache auf alte Nazis in seinen frühesten Redaktionen – attestierte dieser Tage eine neue „Milde“ der ganz Jungen mit den ganz Alten. Im Krebsgang nähere sich die Popliteraten-Generation den Großvätern an und, irre, stelle erst mal Fragen, bevor es Meinung setze. Nun muss es ja nicht schädlich sein, sich über den Krieg zu informieren, wenn man erwägt, gegen ihn zu sein.

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„Im Zweifel eher aus der Perspektive der Regierten berichten als aus der der Regierenden“ (Hajo Friedrichs)

Dieses gar nicht mal so kranke Volksempfinden; dieses Doppeltrauma „Krieg erlebt und noch selber schuld dran gewesen“ ist eine deutsche Eigenheit. Schon wähnte mancher im Schröder’schen Wehrdienstverweigern mal wieder ein anmaßendes Wesen, an dem die Welt zu genesen habe. Behutsamst wagte Fischer: „Die Amis haben kein Verdun erlebt“ einen deutsch-französischen Weltkrieg-1-Vergleich.

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Klarer wäre: Liebe Amis, wir Deutschen erinnern euch gerade an das, was ihr uns unter Mühen, gegen Widerstände und nicht nur eigennützig vor Jahrzehnten beigebracht habt. Ein klassischer Konflikt, wenn die Kinder beginnen, den Eltern vorzuwerfen, dass sie sich an ihre eigenen hehren Maßstäbe und Richtlinien nicht halten. Als die Reedukation stattfand, waren Rest- und Rostnazis am schärfsten dagegen. Heute die Amis. Das habt ihr nun davon.

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Und so auch im Journalismus. Ein anderer großer Lehrer seines Fachs – Hanns-Joachim Friedrichs – schilderte in seinen Erinnerungen sein Erweckungserlebnis als junger Deutscher bei der BBC. Wertfrei formulieren, „sich mit keiner, auch der guten Sache nicht – gemein machen“; und seine minimale Abweichung von der Mitte: „Im Zweifel eher aus der Perspektive der Regierten berichten als aus der der Regierenden.“ Die elektronischen Medien in Westdeutschland waren wesentlich das Werk britischer und amerikanischer Besatzungsoffiziere, noch heute wohnt der NDR am Hugh-Carlton-Greene-Weg; der war einer seiner Gründer und kam von der BBC.

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Fernsehen bildkanoniert so vollrohr kriegstreiberisch, wie es auch wehrkraftzersetzend rumpazifiert

Da begegnen den Krieg führenden Briten und Amerikanern nun in den neuen Deutschen ihre wohl geratenen Zöglinge. Verwundert notiert die New York Times diese Woche, wie löblich sich deutsche Nachrichtensender vom amerikanischen News-Angebot abhöben; wohltuend ausgewogen in der Bildauswahl und vor allem: „with scepticism“. Umerziehung alleine – das beweist das Desaster der staatlich verordneten Fremdenfreundlichkeit der DDR – dringt nicht tiefer als die Haut.

Hier aber traf das Wissen, belogen worden zu sein – auf die lebenswichtige Erkenntnis, sich nicht mehr belügen zu lassen. Vielleicht trägt Knopps Horrorkabinett viel direkter zur Willensbildung bei, als es aktuelle Bilder können, weil er einen Teil des Publikums bei seinen eigenen Kriegserinnerungen abholt. Vielleicht ist dieses tiefe Wissen gerade der Älteren der Grund, warum die CDU als Partei gerade der Älteren ihren Kurs verfehlt hat. Schön wäre, hier nicht zwischen Medien und Rezipienten zu unterscheiden, sondern wenn Journalisten und Publikum einander, so mutig sollte man sein, zu ihrer Skepsis gratulierten.

Auch das Fernsehen ist damit nicht antiamerikanisch, sondern eher für ein Amerika, das sich selbst vergessen hat. Neulich ereilte mich der Anruf eines, jedenfalls der Sprache nach, durch und durch proamerikanischen Auftraggebers: Man suche ein neues positioning und wünsche sich dafür weniger show, sondern, das sei jetzt Trend, mehr so was content-Getriebenes. Ich vermute, er meint Inhalt.