Nordkorea gibt neue Rätsel auf

Berichte über einen angeblichen neuen Raketentest lösen Verwirrung aus, doch Nordkoreas Nachbarstaaten bleiben gelassen. Die US-Regierung belässt Manövertruppen in Südkorea. Beobachter wundern sich: Wo steckt Machthaber Kim Jong Il?

von SVEN HANSEN

Eine ostasiatische Variante des Aprilscherzes? In Tokio und Seoul herrschte gestern zumindest große Verwirrung. Nordkorea habe am Vormittag eine Anti-Schiffs-Rakete im Gelben Meer getestet, zitierten zunächst die Agenturen Regierungskreise in Tokio. Als später ein Sprecher des Generalstabs in Seoul sagte, nach südkoreanischen Informationen habe es keinen derartigen Raketenstart gegeben, räumte ein Regierungssprecher in Japan ein: „Wir haben Informationen über die Rakete, aber für den Test keine Bestätigung.“

Regierungskreise in Seoul sprachen von einem Routinetest, der keine unmittelbare Bedrohung dargestellt habe. Militärkreise erwähnten die Möglichkeit, dass ein Artilleriegeschoss getestet worden sein könnte. Auch das US-Verteidigungsministerium wollte den Fall eher als Routine gewertet sehen, selbst wenn der Test diesmal nicht angekündigt worden sei. Er habe aber keine unmittelbare Bedrohung dargestellt.

Am Freitag hatte Japan zwei Satelliten zur Beobachtung nordkoreanischer Atom- und Raketenanlagen ins All geschickt, obwohl die Regierung in Pjöngjang mit ernsten Konsequenzen gedroht hatte. Der Raketentest – oder was immer es war – wurde zunächst für Nordkoreas Reaktion gehalten.

Zuletzt hatte Pjöngjang am 24. Februar und am 10. März Anti-Schiffs-Raketen getestet. Sie waren ins Japanische Meer (koreanisch: Ostmeer), also in Richtung Japan, abgefeuert worden. Der gestrige Abschuss fand jedoch auf der westlichen Seite der koreanischen Halbinsel statt. Das Geschoss flog Richtung China.

Die US-Regierung, die seit Wochen den Konflikt mit Nordkorea herunterspielt, gab gestern bekannt, dass einige der derzeit wegen eines Manövers in Südkorea stationierten Tarnkappenbomber, Flugzeuge und Soldaten dort weiter zur Abschreckung des Nordens bleiben werden. In Pjöngjang dürfte dies als weiteres Indiz gewertet werden, dass die USA nach dem Irak Nordkorea angreifen wollten. Der Konflikt mit Nordkorea, dem der Streit über ein mutmaßliches Atomprogramm zugrundeliegt, dürfte weiter eskalieren.

Nordkorea warf den USA gestern vor, im März 220 Spionageflüge über seinem Territorium und damit 40 mehr als im Februar durchgeführt zu haben. Ein US-Militärsprecher in Seoul wollte dies nicht kommentieren. Am 2. März hatten vier nordkoreanische Jets über dem Japanischen Meer ein US-Spionageflugzeug abgedrängt.

Am Montag hieß es aus diplomatischen Kreisen in China, dass dessen Regierung offenbar doch mit wirtschaftlichem Druck Pjöngjang zur Zurückhaltung im Konflikt mit den USA aufgefordert hat. Berichten zufolge unterbrach China für drei Tage die Ölversorgung Nordkoreas, das von chinesischen Lieferungen abhängt. Peking soll die Maßnahme, die Proteste Nordkoreas auslöste, mit technischen Schwierigkeiten begründet haben.

Beobachter rätseln derweil über den Aufenthaltsort von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il. Er trat zuletzt am 12. Februar bei einem Empfang der russischen Botschaft zu seinem 61. Geburtstag öffentlich auf.