Rüsselsheim hat Angst vor US-Virus

RÜSSELSHEIM taz ■ Wenn Opel hustet, dann geht es ganz Rüsselsheim schlecht. Das war schon immer so, seit das Unternehmen vor mehr als 100 Jahren hier begann Autos zu bauen. Doch nach den goldenen 60er- und 70er-Jahren, als Opel mit den Modellen Rekord und Kadett in Europa boomte, mussten die Arbeiter im Opel-Stammwerk in Rüsselsheim eine Erkrankung nach der anderen überstehen. Gut 25.000 Arbeitsplätze blieben dabei auf der Strecke, 15.500 sind heute noch übrig. In der City zeugt nicht nur die schon lange leer stehende Ruine des Kaufhauses Karstadt vom Niedergang einer einst blühenden Industriestadt. Leerstand überall. Und jetzt droht aus Detroit, wo die angeschlagene Konzernmutter General Motors (GM) sitzt, auch noch die US-amerikanische Influenza. In der hessischen 60.000-Einwohner-Stadt geht die Angst um: Sie könnte tödlich ausgehen.

Samstagvormittag ist Bauernmarkt in Rüsselsheim. Traditionell ein Treffpunkt für die immer zu einem Schwätzchen aufgelegten Opel-Rentner, die ihre Schäfchen längst im Trockenen haben. Großzügig waren früher die Bedingungen für die Frühverrentung bei Opel formuliert; und die Betriebsrenten sind mehr als ordentlich. „Ich bin froh, dass ich schon draußen bin, denn jetzt gehen ja vielleicht alle Lichter beim Adam aus“, sagt ein Rentner in taubenblauem Blouson und Schildmütze zu einem anderen.

Der meint, dass „der Ami“ an allem schuld sei: „Wir hätten uns schon längst von denen abkoppeln müssen.“ Alle in der Gruppe nicken.

Unter dem „harten Sparkurs“, den GM verlangt, wird, wie aus dem oberen Opel-Management zu hören ist, auch Rüsselsheim leiden, das zuletzt nach der Krise von 2004 vom Konzern mit dem Zuschlag für das Technische Entwicklungszentrum Europa und einer damit verbundenen Standortgarantie gehätschelt worden war. Nicht nur in der Produktion, auch in der Verwaltung drohten jetzt „drastische Einschnitte“, sagt ein Topmanager aus der Abteilung Einkauf. Mit dem neuen Modell Insignia wollte Opel eigentlich aus der latenten Absatzkrise herauskommen; jetzt ist man damit mitten in die Finanzkrise hineingeraten.

Seit 2000 schon zahlt Opel hier keine Gewerbesteuer mehr. Oberbürgermeister Stefan Gieltowski (SPD) arbeitet deshalb seit Jahren daran, die Kommune unabhängiger von Opel zu machen und andere Unternehmen nach Rüsselsheim zu locken. Nun ist er „verzweifelt“, wie er der Frankfurter Allgemeinen gestand: „Werben Sie einmal für den Standort, wenn Sie solche Schlagzeilen haben.“

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT