„Militärische Eskalation wird das Problem nicht lösen“

Der Konfliktforscher und Politikberater Andrew Mack über vitale Interessen, verlorene Kriege und das Dilemma der US-Regierung

taz: Herr Mack, nach dem Vietnamkrieg haben sie argumentiert, dass auch große Staaten Kriege verlieren können. Stimmt die These noch?

Andrew Mack: Wenn externe Mächte, was die USA damals in Vietnam waren, weit entfernt von ihrem eigenen Territorium Kriege führen, in denen ihre nationale Sicherheit nicht auf dem Spiel steht, haben sie langfristig ein Problem. Wenn die Zahl der Opfer steigt, nimmt die Unterstützung für den Krieg irgendwann unweigerlich ab.

Warum sind Sie da so sicher?

Wenn das Überleben einer Kriegspartei nicht gefährdet ist, wird es zu Hause immer einen Wettbewerb geben zwischen den Ressourcen für den Krieg auf der einen Seite, und den Ressourcen für andere Ziele auf der anderen. Das ist das grundsätzliche Problem. Weil über einen langen Zeitraum die Leute sagen werden: Das ist uns die Sache nicht wert, es kostet uns zu viel. Die Argumente der Kriegsgegner werden auf Dauer immer stärker, die Positionen der Krieg führenden Regierung immer schwächer.

Aber zunächst konnte die US-Regierung den Krieg gegen Vietnam doch führen?

Im Vietnamkrieg argumentierten die US-Administrationen zunächst, dass es in Amerikas vitalem nationalen Interesse war, den Kommunismus in Schach zu halten. Anfangs wurde das Argument in der Öffentlichkeit akzeptiert, aber nach einiger Zeit sagten die Leute: Moment mal, der Preis wird zu hoch.

Was heißt das für den Irakkrieg?

Die Bush-Regierung sagt auch hier, es ist in Amerikas vitalem nationalen Interesse, diesen Krieg zu führen. Und das wird akzeptiert. Aber zumindest langfristig könnte es Stimmen geben, die sagen, das verfolgte Ziel ist den hohen Preis nicht wert.

Könnte nicht auch der gegenteilige Effekt eintreten?

Ja, das ist denkbar. Die Regierung wird zunächst sagen: Wir haben tausende unserer Soldaten verloren, deshalb müssen wir weiter eskalieren. Wenn aber eine Eskalation nicht zu dem versprochenen militärischen Sieg führt, dann erhöht Eskalation – durch noch mehr Opfer – wiederum die politischen Kosten für die Regierung. Damit wird wiederum das Argument der Kriegsgegner gestärkt. Militärische Eskalation könnte eine kurzfristige Reaktion der US-Regierung sein, aber die wird das Problem nicht lösen.

Auch nicht, wenn sie militärisch erfolgreich ist?

Selbst wenn sie den Krieg gewinnen, könnte es sein, dass sie es über Jahre mit Selbstmordattentätern zu tun haben. Man darf nicht vergessen, dass Israel nicht in der Lage ist, Selbstmordattentäter aus den besetzten Gebieten zu stoppen, obwohl sie dort seit mehr als 30 Jahren Besatzungsmacht sind. Man stelle sich jetzt die Situation in einem Land vor, das sehr viel größer ist als das Westjordanland und Gasa, ein Land, in dem praktisch unbegrenzte Mengen von Sprengstoff gelagert werden können und es vielleicht tausende potenzielle Selbstmordattentäter gibt. Man fragt sich, wie eine US-amerikanische Besatzungsmacht diese Lage noch kontrollieren will.

Aber verloren hätten die USA dadurch doch nicht?

Ich denke, die wahrscheinlichste Art, wie die Amerikaner den Krieg in gewisser Weise verlieren können, ist die, dass sie zwar dem Irak ihren politischen Willen aufzwingen können, aber die politischen Kosten außerhalb des Irak, vor allem in der arabischen Welt, enorm hoch sein werden.

Was bedeutet das für die US-Strategie?

Die Amerikaner stehen vor einem Dilemma. Wenn sie den Krieg schnell beenden wollen, müssen sie viele Zivilisten töten. Wollen sie aber die Anzahl ziviler Toter begrenzen, vergrößert sich fast unausweichlich die Anzahl der amerikanischen Toten. Das ist ihr fundamentales Problem.

Aber die militärischen Möglichkeiten sind doch seit Vietnam deutlich gestiegen.

Es gibt ihnen einen enormen Vorteil, wenn die Iraker das Spiel der Amerikaner spielen. Beim letzten Golfkrieg 1991 hat Irak seine gesamte Militärmacht mitten in die Wüste gesetzt, wo sie ein perfektes Ziel für die USA abgab. Wenn man aber jetzt in einen Häuserkampf gerät, verschwinden die High-Tech-Vorteile. Die USA haben auch in einer solchen Situation noch gewisse Vorteile, aber die Balance würde sich in Richtung der Iraker verschieben.

Was werden die USA tun, wenn diese Probleme auftauchen? Wie könnte dann die „exit strategy“ aussehen?

Das ist ein Punkt, über den sich fast alle Beobachter einig sind: Die amerikanische Regierung ist auf der Grundlage vorgegangen, dass sie mit Sicherheit gewinnen wird. Sie hat nicht einmal begonnen, darüber nachzudenken, was passieren soll, wenn der Krieg so schlecht verläuft, dass sich die öffentliche Meinung zu Hause eindeutig gegen sie wendet.

INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ