Ein Mann sorgt für Kontinuität

Trichet hat in der Europäischen Zentralbank einiges geändert – nur nicht die Richtung

FRANKFURT/M. taz ■ Der Mann hat Stil. Und für die Europäische Zentralbank (EZB) ist es ein neuer Stil. Nicht nur optisch. Der Franzose Jean Claude Trichet, der am Sonntag exakt 100 Tage im Amt des EZB-Präsidenten ist, trägt Maßanzüge, die nicht auffallen, weil sie so perfekt sitzen, seine Schuhe sehen immer aus wie gerade gekauft. Genauso unaufdringlich ist seine Arbeit, so ruhig sein Umgang mit der Politik.

Wim Duisenberg, sein Vorgänger und der erste Präsident an der EZB-Spitze war von anderem Kaliber. Der Niederländer wurde auch schon einmal laut – nicht nur in der EZB, sondern auch gegenüber europäischen Politikern, die nicht so wollten wie er. Zusammen mit seiner weißen Dirigentenmähne verführte das manchen zu der despektierlichen Assoziation „alter Zausel“ – auch wenn sie ihn in der EZB doch eigentlich alle „achteten und verehrten“. Das jedenfalls sagen Zentralbanker aus dem Inner Circle rückblickend. Inhaltlich allerdings unterschied er sich kaum von seinem Nachfolger. Auch Trichet bleibt in Frankfurt seinem Motto treu: „Stabilität!“ Wie Duisenberg ist ihm die Preisstabilität wichtiger als die Möglichkeit, mit einer entsprechenden Zinspolitik die Konjunktur anzutreiben. Wegen der Abkehr Frankreichs und Deutschlands vom Stabilitätspakt verlor er deshalb kurz die Contenance. Er gab den „Wim“ und rüffelte die Finanzminister ab. Dagegen reichte ihm eine Randbemerkung, um den Höhenflug des Euro zu stoppen. „Übertriebene Wechselkursbewegungen mögen wir nicht“, ließ er in einem Gespräch mit Journalisten fallen – prompt reagierten die Devisenbörsen. Die EZB selbst brauchte nichts zu tun.

Dass Trichet trotzdem so ganz anders wahr genommen wird, hat mit einer gewissen Fremdheit zu tun, die er zu allem, was um herum passiert, bewahrt. Auch wenn er durch alle Stockwerke des Towers in der City wandert. „Es kann vorkommen, dass der Chef in der Poststelle auftaucht“, sagt eine Zentralbankerin, die für die Kontakte mit den Notenbanken der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zuständig ist. Dann sage er: „Bonjour!“, gebe jedem im Raum mit einer angedeuteten Verbeugung die Hand und verschwinde so lautlos wieder, wie er gekommen sei. „Im Hause“, hört man, werde seit dem Einzug von Trichet in die Räume „ganz oben“ immer öfter Französisch gesprochen. Und manche frischten ihre Sprachkenntnisse auf.

Trichet ist ein Aristokrat, ein geschliffener Rhetoriker, ein Diplomat. Das sorgt für die Distanz – und es kommt nicht von ungefähr: Trichet durchlief die Eliteschulen der Grande Nation. Schon die Eltern gehörten zur Führungsschicht Frankreichs, das nach Großbritannien wohl die traditionsbewussteste Oberschicht hat. Fast hätte ein Skandal um die frühere französische Staatsbank Crédit Lyonnaise seinen steilen Aufstieg über die französische Notenbank hin zur EZB abrupt beendet. Doch das Gericht sprach ihn von dem Vorwurf frei, bei den frisierten Bilanzen der Bank weggeschaut und falsche Informationen lanciert zu haben.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT