6.000 Jobs in zwei Tagen

Drei Stunden anstehen für einen Statistenjob, den man vielleicht gar nicht bekommt? Bringt‘s das wirklich? Aber könnte es nicht auch sein, dass man entdeckt wird und mehr als nur 50 Euro dabei abfallen? Eindrücke von einem Statisten-Casting in Babelsberg für den Film „In 80 Tagen um die Welt“

von CHRISTIANE RÖSINGER

Wochenlang las man die Anzeigen in Zeitungen und Stadtmagazinen: 6.000 Komparsen gesucht für die Filmproduktion „In 80 Tagen um die Welt“ mit den Hauptdarstellern Jackie Chan und Sylvester Stallone, Casting im Filmstudio Babelsberg, Haus 5. Warum eigentlich nicht? Interessante Nebenjobs sind rar, und lieber Statist sein als im Callcenter sitzen. Also auf nach Babelsberg zum Casting der 6.000.

Meinen letzten Statistenjob hatte ich vor 18 Jahren. In der Heimat wurden gerne Filme über die badische Revolution an Originalschauplätzen gedreht, so dass ich öfters, verkleidet als Lumpen- oder Bürgerfrau, mit anderen Jugendlichen, ein paar Erwerbslosen, unterbeschäftigten Künstlern und erfolglosen Musikern tagelang vor den alten Kasernen oder im Schlosshof in der Sonne hockte. Die Jungs, alle Soldaten, lagerten in ihren bunten Uniformen im Gras oder spielten Karten. Wurde gedreht, tat man das Gleiche wie beim Warten und flüchtete höchstens mal kurz vor preußischen Soldaten. So bewegte man sich in den langen Wartezeiten genauso wie beim Drehen: Film und Wirklichkeit verschwammen bald ineinander. Unvergessen der Höhepunkt der Dreharbeiten: der Vortrag des durchreisenden Karl Marx im „Hirschsaal“ in Rastatt! Die Statisten mussten aus voller Kehle die Marseillaise mit badischem Akzent singen.

Heute jedoch sind die Verhältnisse anders. Im Hier und Jetzt gibt es deutlich mehr Arbeitslose, Studenten und Schüler, und alle sind nach Babelsberg gekommen. Die Warteschlange vor Haus 5 führt über den großen gepflasterten Innenhof im weiten Bogen zum Tor hinaus, und noch einen Kilometer stehen die Komparsenanwärter an der August-Bebel-Straße entlang dicht an dicht.

Nee!, ist die erste Reaktion der meisten Neuankömmlinge. Aber dann wird beratschlagt, der lange Weg … extra rausgefahren … mal sehen, wie es läuft … Die Abgefertigten kommen mit Zetteln aus dem Tor, nach und nach erfährt man wichtige Details: 50 bis 60 Euro am Tag, Drehzeit zwischen 16. April und Juli. Es geht voran, Schritt um Schritt. Man solidarisiert sich, der eine holt Verpflegung beim Chinaimbiss, der andere hält die Stellung. Viele Schüler und Studentinnen stehen da, aber auch Männer um die 50, deren stoische Haltung und müden Blick man von Wartebänken in den Arbeitsämtern kennt. Immer wenn der Bus kommt, wird die Schlange wieder aufgefüllt. So muss es zur Zeit der Weltwirtschaftskrise gewesen sein, denke ich, unwillkürlich laufen bekannte Szenen aus berühmten Depressionsfilmen durch den Kopf: Alles schwarzweiß, hagere Männer in zu großen, abgetragenen Anzügen warten zu hunderten vor Fabriktoren.

In der Echtzeit geht es allerdings doch etwas vergnügter zu. Bubengruppen mit Goldkettchen und Lederjacken inszenieren sich beim Schlangestehen als verwegene Jugendgang, blasse Brandenburger im Sonntagsanzug wollen einfach dabei sein, junge Mädchen mit frisch geföntem Haar und dem neuesten H & M-Top mutmaßen über Johnny Knoxvilles Rolle im Film. Trotz der interessanten Beobachtungen kommen immer wieder Vergeblichkeitsgefühle auf, drei Stunden anstehen für einen Statistenjob, den man vielleicht gar nicht bekommt? Bringt’s das? Für was werden wohl die 6.000 gebraucht, für den Massenauflauf am Gendarmenmarkt, wenn in der Schlussszene der Ballon vor der englischen Bank landet ? Nach einer Stunde ist kaum die Hälfte der Außenwarteschlange geschafft, neue Hochrechnungen ergeben eine Gesamtwartezeit von zweieinhalb Stunden. Die Gruppe hinter uns wird immer lauter, ein Mittvierziger gibt mit seinen Weltreisen an, doziert über Westafrika, Burkina Faso, Mali. Die jüngeren Leute dagegen sind schön ruhig.

Inzwischen sind wir an der Caligari-Halle vorbei gezogen und am Billy-Wilder-Platz gelandet. Hier wird Eis verkauft. Dann geht es plötzlich schnell: rein in die Halle, Fragebogen ausfüllen, Foto machen, Zettel nehmen, fertig. Zwei Stunden haben wir nur gewartet, eine gute Zeit. Abends berichtet die Abendschau: 8.000 waren am ersten Tag schon da, morgen werden nochmal so viele erwartet. Das macht 16.000, aber nur 6.000 werden gebraucht. Es sieht schlecht aus.