off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Die Sinnkrise der Intellektuellen in der modernen Gesellschaft war das große Thema der Filme Michelangelo Antonionis in den 60er-Jahren. Hilflos und unsicher stehen die Charaktere des italienischen Regisseurs den Veränderungen in ihrer Umwelt gegenüber; Bindungen gehen in die Brüche, sie scheitern am Egoismus der Protagonisten, an Gefühlskälte und Gewohnheit.

„La Notte“ (1960) erzählt vom Schriftsteller Giovanni (Marcello Mastroianni) und seiner Frau Lidia (Jeanne Moreau), die im Laufe eines Tages und während einer Nacht auf einer Party erkennen, dass ihre Beziehung reine Routine geworden ist: Giovanni ist seiner Gattin gegenüber unaufmerksam und sucht erotische Zerstreuung bei der Tochter des Hauses (Monica Vitti); Lidia bemerkt, dass sie die Liebe des gemeinsamen Freundes Tommaso (Bernhard Wicki) nie wirklich wahrgenommen hat, der im Krankenhaus an Krebs stirbt. Giovannis Unehrlichkeit steht Lidias klares Erkennen des Endes der Beziehung entgegen. Sinnbild der Leere in ihrem Leben sind Lidias lange Spaziergänge in einem Viertel, in dem das Ehepaar einst gewohnt hat, und in dem sich alles verändert hat: Gesichtslose, moderne Neubauten beherrschen das Bild.

Noch deutlicher wird Antonioni in seinem ersten Farbfilm „Die rote Wüste“ (1964): Hier ist es die farblich verfremdete Industrielandschaft Oberitaliens, die als direkter Auslöser und als Spiegel der seelischen Krankheit der Protagonistin Giuliana (Monica Vitti) dient. Und auch „Blow Up“ (1966) beschreibt eine Gesellschaft, die sich in Oberflächlichkeiten ergeht: Modefotografie, Kifferparties, Quickiesex – die „Swinging Sixties“ an der Grenze zur psychedelischen Ära präsentiert Antonioni als gelackte Welt leuchtender Oberflächen. Der Fotograf (David Hemmings), der einer extrem grobkörnigen Vergrößerung eines Fotos, das vielleicht einen Mord zeigt, eine Geschichte und einen Sinn abzuringen sucht, bemüht sich vergeblich: Die Realität ist kaum mehr zu fassen.

„La Notte – Die Nacht“ 7. 4.–9. 4.; „Die rote Wüste“ 5. 4.–9. 4.; „Blow Up“ (OmU)5. 4.–6. 4. im Lichtblick

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Spätestens Mitte der 60er-Jahre stand das klassische Filmmusical vor dem endgültigen Aus. Das alte Studiosystem (und mit ihm auch das entsprechende Wissen um diese komplexe Kunstform) war verschwunden, das Publikum verlangte nach mehr Realismus, und während die alten Heroen langsam das Gnadenbrot bekamen, wurden die Musicals immer bombastischer. Interessanterweise avancierte zu diesem Zeitpunkt ein – mit Ende Zwanzig gar nicht einmal mehr so junger – britischer Bühnenstar in einem Film-Musical zum Publikumsliebling: Als zauberndes, freundlich-patentes Kindermädchen Mary Poppins, das im Jahre 1910 Fantasie und Spaß ins Leben zweier Londoner Kinder bringt, eroberte Julie Andrews erst alle Herzen und anschließend den Oscar. Auf charmante Weise verbindet die Disney-Produktion von Regisseur Robert Stevenson Trick- und Realfilm: Da gibt es fliegende ältliche Kindermädchen, die von Mary Poppins buchstäblich hinweggeweht werden, oder auch die magische Reisetasche, aus der Mary ziemlich unhandliche Dinge wie Hutständer und große Spiegel zieht – derweil der exzellente Dick Van Dyke mit gezeichneten Pinguinen einen Stepptanz vollführt.

Julie Andrews konnte ihren großen Erfolg ein Jahr später als singende Gouvernante in „The Sound of Music“ noch einmal wiederholen, doch dann bekam sie ein ernstes Imageproblem – und das Film-Musical war endgültig tot.

„Mary Poppins“ 3. 4.–6. 4., Regenbogenkino

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Dass auch die deutsche Filmwirtschaft Bedeutendes zu den Anfängen der Musikkomödie beigetragen hat, lässt sich hingegen sehr schön an Wilhelm Thieles Klassiker „Die Drei von der Tankstelle“ sehen: In der genialen Frühform des „integrated musical“ singen und tanzen Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann und Oskar Karlweis beherzt gegen die Weltwirtschaftskrise an, wobei Letzterer die auch heute noch gültigen Zeilen zum Besten gibt: „Wir ham die Arbeit nur von weitem gesehn, und auch von weitem war se nich schön.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

„Die Drei von der Tankstelle“ 4. 4. im Arsenal 2

LARS PENNING